Schon drei Millionen junger Menschen aus Polen und Deutschland sind sich im Rahmen des deutsch-polnischen Jugendaustausches bei gemeinsamen Treffen begegnet. Sie wurden mit Unterstützung des Deutsch-Polnischen Jugendwerks (DPJW) organisiert. Das DPJW hat seine beiden zentralen Büros in Potsdam und Warschau. Der/die drei-millionste Austausch-Teilnehmer oder Teilnehmerin befand sich in einer Gruppe, die sich kürzlich in Radowo Małe, einem kleinen Dorf in der Wojewodschaft Westpommern, genauer gesagt im Kreis Łobez, aufhielt. Aus eben diesem Grund kam aus Warschau eine riesige Torte dort an.
Jährlich nehmen etwa 100.000 junge Menschen aus Polen und Deutschland an den verschiedenen gemeinsamen Treffen des Jugendwerks teil. Seit Januar 1993 fanden insgesamt 75.000 Treffen statt. Ob Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki das hätten ahnen können, als sie im Juni 1991 am Tag der Unterzeichnung des Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit auch den Vertrag zur Schaffung des DPJW unterschrieben?
Finanzielle Unterstützung durch das DPJW können Schüler*innen und Studierende in großen Zentren wie auch an kleinen Orten, zum Beispiel Radowo Małe, in Anspruch nehmen. Es wäre leicht, eine lange Liste deutsch-polnischer Aktivitäten aufzustellen, an denen Jugendliche aus dem land- und forstwirtschaftlich geprägten Kreis Łobez teilgenommen haben – u.a. Kunst-Workshops, gemeinsame sportliche Aktivitäten, Gespräche mit Zeitzeugen. Dabei lernten sie ihre gleichaltrigen, deutschen Partner*innen, deren Häuser, Orte, Schulen und Familien kennen.
Blasorchester
Erfolge erzielte z.B. das Kulturzentrum in Łobez unter seinem Direktor Dariusz Ledzion. Mit den deutschen Partnerorganisationen organisierte er im Laufe einiger Jahre in Łobez und Bayern mehrtägige Musikworkshops für junge Bands, zunächst aus Deutschland und Polen, später auch aus Weißrussland, Litauen und der Ukraine. Junge Instrumentalist*innen aus Bayern, Rügen und Berlin nehmen am jährlich stattfindenden Internationalen Festival für Blasorchester und Big Bands in Łobez teil, Musiker*innen aus Łobez fahren zu Gegenbesuchen bei ihren Partnerstädte.
„Jedes dieser Treffen ist ein Abenteuer und eine lebendige Lektion in Toleranz und gegenseitiger Achtung. Vertieftes Kennenlernen der Partnerländer, gestützt auf eigene Erfahrung, mit Sprachpraxis und der Fähigkeit Kontakte zu knüpfen, entwickelt sich. Es handelt sich um eine Investition in die Zukunft Europas”, sagen die verantwortlichen Organisator*innen in Łobez und Radowo Małe.
Warum fliegt der Ballon?
Vom 6. bis 12. Mai fand in einem Schulkomplex in Radowo Małe bereits der 6. deutsch-polnische Workshop statt, an dem 24 Schüler*innen der Mittelschule Unterschleißheim in Bayern und 20 Schüler*innen der Gemeinde Radowo Małe teilnahmen. Verantwortlich für die Organisation der Workshops waren die außerschulische Vereinigung „WIS” (Freie gesellschaftliche Initiative) und die Jugendbildungsstätte am Tower in Oberschleißheim. Die Teilnehmer*innen konzentrierten sich dieses Mal einige Tage lang auf Mathematik, Robotertechnik und Ballonbau. Sie waren gemeinsam in einem kleinen Hotel untergebracht, das es seit vielen Jahren an der Schule gibt. Gemeinsam entdeckten sie ihre Leidenschaften, experimentierten und suchten Antworten auf schwierige Fragen: Wie arbeiten Roboter, warum fliegt ein Ballon, was ist eine mathematische Stickerei? Sie besuchten Stettin und Kołobrzeg, spielten Fußball und hatten Spaß in Diskotheken. Die Zeit war knapp, es war anstrengend.
Alle arbeiten mit
„Die Kontakte mit Unterschleißheim gibt es seit fünf Jahren”, sagt Elwira Stawska, Lehrerin in Radowo Małe und Organisatorin des Austauschprogramms. „Die Treffen vorzubereiten und zu realisieren ist anstrengend, aber eine tolle Sache, denn die Jugendlichen beteiligen sich gern an Ausflügen und Treffen. Ich mache die Pläne, sammle Dokumente, aber an der Arbeit beteiligen sich alle, sowohl Lehrkräfte als auch alle anderen an der Schule Beschäftigten. Der Gemeindevorsteher hilft uns. Es geht um Integration, um das Kennenlernen deutscher Kultur und darum, die Schönheiten unserer Region zu zeigen. Sie und wir fühlen uns hier sicher, wir lernen uns, die Kultur, Sitten und Gebräuche kennen, und besuchen interessante Orte. Im letzten Jahr nahmen wir an einem Wettbewerb zu kultureller Vielfalt teil, es gab über 80 Teilnehmenden. Wir erreichten dort sogar den siebten Platz.”
Am 28. Mai fahren die Schüler*innen aus Radowo Małe zu einem Gegenbesuch nach Unterschleißheim und verbringen dort eine ganze Woche.
Die weiße Torte
Während des Treffens in Radowo Małe passierte etwas Unvorhergesehenes, eine unglaubliche Überraschung, denn aus dem Warschauer DPJW kamen Anna Milewska-Czachur und Piotr Kwiatkowski und brachten eine große Torte mit. Sie wollten zusammen mit der Gruppe feiern, in der sich der/die drei-millionste Teilnehmende des deutsch-polnischen Jugendaustausches befand. Die Gäste aus Warschau, der Gemeindevorsteher von Radowo Małe Mariusz Sira und die Schuldirektorin Ewa Radanowicz gratulierten den Jugendlichen.
Am 13. Juni feiert das Jugendwerk das Jubiläum auch bei einem Picknick in Warschau.
Von der schlechtesten zur besten Schule
Zum Schluss: Noch im Jahr 2002 erzielte die Schule in Radowo Małe die schlechtesten Ergebnisse im ganzen Land. Heute gehört sie zu den besten Schulen. Möglich war das dank der Realisierung vieler innovativer Projekte, u.a. im Rahmen des deutsch-polnischen Austauschs.
Czesław BURDUN
Journalist der Tageszeitung „Kurier Szczeciński”, lebt in Łobez
Aus dem Polnischen von Ruth HENNING