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Denkfabrik in Torgelow

Data publikacji: 27 czerwca 2019 r. 11:58
Ostatnia aktualizacja: 27 czerwca 2019 r. 12:02
Denkfabrik in Torgelow
Denkfabrik im Haus an der Schleuse in Torgelow Foto: (b.t.)  

Der Landkreis Vorpommern-Greifswald wird in den Medien als eines der wirtschaftlich schwächsten Gebiete Deutschlands beschrieben. Dabei geht es vor allem um den südlichen Teil, den alten Landkreis Uecker-Randow, mit den Städten Pasewalk, Torgelow, Ueckermünde, Anklam an der polnischen Grenze, also im Einflussbereich der grenzüberschreitenden Stettiner Metropolregion, gelegen. Diese Region ist immer noch eher eine Vision als Realität.

„Hier sind wir an einem spezifischen Ort in Europa” sagte kürzlich Ulrich Vetter in Torgelow, Geschäftsführer der Förder- und Entwicklungsgesellschaft Vorpommern-Greifswald mbH. Seine Aufgabe besteht darin, die Entwicklung des Landkreises zu unterstützen.

Einige Ideen am Tisch

Im repräsentativen ‚Haus an der Schleuse’ am Fluss Uecker fand Mitte Juni das 22. Wirtschafts-Symposion Vorpommerns statt, an dem Geschäftsleute und Lokalpolitiker*innen teilnahmen. Eigentlich war es eine Art Think-Tank – oder auch eine Denkfabrik. Organisiert hatte das Treffen der oben genannte Verein, den Ulrich Vetter leitet, in Zusammenarbeit mit Unternehmen und der Stadt Torgelow. Es ging darum, unter welchen Voraussetzungen es gelingen kann, eine Vision für die Entwicklung des Landkreises bis zum Jahr 2050 zu erarbeiten.

Das Forum wird in bestimmten Abständen seit vielen Jahren organisiert. Aber jetzt waren erstmalig Gäste aus Polen eingeladen. Vertreter des westpommerschen Marschallamts und der Kreisstadt Police waren gekommen, sie verfolgten die Beratungen.

Einer der Referenten war Gereon Uerz von der bekannten Konsulting- und Entwicklungs-Firma ARUP. Die Firma hat Niederlassungen in der ganzen Welt, auch in Warschau und Krakau. Sie ist in Polen bekannt für ihre Teilnahme an einigen Prestige-Investitionen, wie z.B. am Museum der polnischen Luftfahrt in Krakau, am Nationalen Forum für Musik in Breslau, am Museum der Geschichte der polnischen Juden „Polin” in Warschau und am Warschauer Wolkenkratzer Złota 44.

„Eine Vision für das Jahr 2050 habe ich Ihnen nicht mitgebracht. Die müssen Sie selbst entwickeln. Ich kann nur einige Ideen beisteuern”, sagte Gereon Uerz.

Philosoph – Projektingenieur

An die Chancen der Region müssen vor allem seine Einwohner glauben. Patrick Dahlemann, parlamentarischer Staatssekretär für Vorpommern in der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, wiederholte in Torgelow mehrfach, diese könnten stolz auf das sein, was sie seit der Wiedervereinigung erreicht hätten. Tatsächlich gäbe es zwar immer noch große Probleme, aber die Arbeitslosigkeit im Landkreis gehe systematisch zurück und demnächst sollte sie wohl keine Rolle mehr spielen. Die Einwohnerzahl sinke nicht mehr, vor allem in den Stettin benachbarten Gebieten. Er fügte hinzu, Präsident Frank-Walter Steinmeier, der die Grenzregion regelmäßig besuche, habe die Errungenschaften des Landkreises kürzlich gelobt. Am 6. Juni habe er mit den Einwohnern von Anklam, Ducherow, Fahrenwalde und dem grenznahen Dorf Rothenklempenow gesprochen. 

„Wir haben gute Gründe uns der Zukunftsmusik zu widmen”, sagte Vetter. „Unser Landkreis liegt zwischen Südschweden, Kopenhagen, Berlin und Stettin. Für uns ist vor allem Berlin die treibende Kraft, aber auch Stettin. In diesen beiden Städten müssen wir über uns reden und Kontakte schmieden. Wenn wir die Zukunft planen, müssen wir uns darüber im klaren sein, dass wir eine Tür nach der anderen öffnen, weitere Räume betreten. Aus manchen müssen wir uns wieder zurückziehen”.

Ulrich Vetter wohnt erst seit kurzem bei Pasewalk. Er hat sein Studium in Geschichtsphilosophie beendet, eine Arbeit über Architekturgeschichte geschrieben, war Chefredakteur einer Tageszeitung, Pressereferent einer Universität und eines Ministeriums, Marketing-Chef einer Privathochschule. Er beschäftigt sich mit sozialer Kommunikation und Meinungsbildung, leitet Debatten, erarbeitet politische und wirtschaftliche Strategien und ist Projektingenieur.

Digitale Nomaden

Gereon Uerz beschrieb Tendenzen in Wirtschaft und weltweiter Demographie und betonte, man müsse sich heute von diesen Tendenzen leiten lassen, wenn man die Zukunft der nächsten 25-30 Jahre prognostizieren wolle. Er sprach von der vierten mit der Digitalisierung verbundenen Revolution, den immer schnelleren zivilisatorischen Veränderungen, deren Tempo heute nicht vorhersehbar sei, über Klimawandel, Umweltverschmutzung, Konzentration des Lebens im Umkreis von Metropolen, die schon existieren und immer größer werden. Im Jahr 2050 würden weltweit 75 Prozent der Menschen in Städten leben. Der Druck auf Europa wachse vor allem wegen des globalen Klimawandels.

In den überfüllten Städten Europas werde das Leben immer schwieriger. Heutzutage sei Berlin die überfüllteste Stadt. Ein durchschnittlicher Berliner verbringe jährlich 154 Stunden in Staus, die Mietpreise für Wohnungen wüchsen in absurde Höhen, gerade für Studenten, und – oh Wunder – Nachfrage sei weiter vorhanden.

„Allerdings beginnen die Leute aus den Städten zu fliehen”, sagte Uerz. „Die Anzahl der digitalen Nomaden, die überall dort leben und arbeiten können, wo es schnelle Internetverbindungen gibt, wächst rapide.”

In Vorpommern gibt es diesbezüglich Probleme. Philipp Amthor (CDU), ein aus Torgelow stammender junger Bundestagsabgeordneter, sagte, die Bundesregierung sei sich des Problems bewusst und es werde Verbesserungen geben, aber aufgrund der hohen Kosten ginge das nicht so schnell.

„Das muss aber schnell passieren”, betont Vetter.

Einkäufe – geliefert von Drohnen

Das Internet führe dazu, dass sich ganze Firmen außerhalb der Stadt ansiedelten, und sogar Dörfer entstehen ließen, deren Einwohner in der Natur leben und arbeiten. Auf der Welt gäbe es bereits 11.500 solcher Dörfer, u.a. im Umkreis von Berlin und Frankfurt (Oder). Deren Einwohner kappten ihre Verbindungen zu den Städten nicht, denn sie schätzten deren Angebot. Sie verlangten lediglich eine schnelle und bequeme Kommunikation.

Aus der Argumentation von Gereon Uerz folgt, dass die Vorteile des Landkreises Vorpommern-Greifswald unter heutigen Bedingungen erkennbar werden – vor allem die Nähe zu Berlin und Stettin, Ruhe, Natur. Uerz meint, allein am Stettiner Haff könnten tausend Arbeitsplätze für digitale Nomaden entstehen.

Tägliche Einkäufe? Demnächst könne man über Internet bestellen und sich die Ware per Drohnen ins Haus liefern lassen. Blühende Phantasie? „Die Schweizer üben das schon”, sagte Uerz.

„Heute brauchen die Züge von Berlin nach Torgelow allerdings noch zwei Stunden” empörte sich Dahlemann. „Das muss sich ändern. Auch die Verkehrsverbindungen zwischen Stettin und dem Landkreis und die innerhalb des Landkreises müssen dringend verbessert werden. Davon hängt die Zukunft der Region ab.”

Reifen aus Löwenzahn-Kautschuk

„Eine Denkfabrik muss geschaffen, Entwicklungsszenarien geschrieben werden, es gilt darüber nachzudenken, was uns stärkt”, so Vertreter der Firma ATI Küste GmbH aus Rostock, die das Projekt INNOTEC (Innovations- u. Technologieinitiative für Vorpommern) realisiert. Der Landkreis könne dieses Programm aus dem eigenen Haushalt gar nicht finanzieren. Das übernehme die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern.

Die Referenten betonten, zur Erarbeitung einer Entwicklungsstrategie für eine Firma oder eine Region, insbesondere heute, gehöre ein Quäntchen Verrücktheit. „Es gibt kein großes Genie ohne ein Quäntchen Verrücktheit” zitierte Ulrich Vetter Aristoteles.

„Was heute unmöglich erscheint, wird morgen möglich” kommentierte Dahlemann und erwähnte das Beispiel des Konzerns Continental, der beschlossen habe, natürlichen Kautschuk zur Reifenproduktion zu verwenden, da er bedeutend billiger sei als künstlicher. Er werde jedoch nicht aus den Tropen eingeführt, wo dafür Wälder abgeholzt werden müssten, sondern könne vor Ort produziert werden. Woraus? Aus den Wurzeln des Löwenzahns – ein Unkraut, das überall wächst. Am ergiebigsten sei der russische Löwenzahn. Der Konzern hat in Anklam ein Laboratorium aufgebaut, wo Wissenschaftler von der Universität Münster den Löwenzahn erforschen.

„Und – die Reifenproduktion mit Löwenzahn-Kautschuk geht los. Das erschien zunächst verrückt, aber es wird möglich”, sagte Dahlemann.

Polen ist eine Chance

Und wie sieht es mit Kontakten nach Polen und Stettin aus? Patrick Dahlemann erinnerte an die vor zwei Monaten von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg unterschriebene Vereinbarung über Zusammenarbeit im Rahmen der grenzüberschreitenden Stettiner Metropolregion. Er berichtete, der Landrat von Vorpommern-Greifswald habe in Schwerin ein Büro als Kontaktzentrum für Stettin eröffnet. In der Landeshauptstadt gelegen, wird es wohl einen angemessenen Rang einnehmen.

Seit langem wird auf verschiedenen Treffen darüber gesprochen, dass der Stettiner Raum sich, u.a. wegen der Lage der Häfen, der Autobahnen, der Eisenbahnverbindungen und des Flughafens als einheitliche deutsch-polnische Region entwickeln sollte. Auf deutscher Seite der Grenzregion möchte Dahlemann das auch visualisieren, z.B. durch Begrüßungstafeln auf Polnisch neben den Ortseingangsschildern an den Straßen, auf der Autobahn – auch mit Informationen über den Industriepark Berlin-Stettin, der Ende 2018 eröffnet wurde. Der erste Investor ist übrigens ein Stettiner, der sich in Deutschland angesiedelt hat.

Das wichtigste Hindernis bei der Entwicklung einer gemeinsamen Region ist die Sprachbarriere, vor allem mangelnde Kenntnisse der polnischen Sprache in Deutschland. Die Lösung dieses Problems könnte durch das Programm „Lernen der Nachbarsprache” beschleunigt werden, das dank bewilligter Fördermittel der EU für Stettin gerade beginnt. Auch die Ansiedlung von Polen in der deutschen Grenzregion wird dazu beitragen.

„Polen ist unsere Chance für die Zukunft. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern die der ganzen Landesregierung und der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig”, so Dahlemann.

ARUP GmbH in Stettin?

Ulrich Vetter fasste die Ergebnisse der Versammlung zusammen und betonte, der Landkreis Vorpommern-Greifswald habe heute die besten Chancen sich zu entwickeln. Das dürfe man nicht verschlafen. In der Region dominierten kleine und mittlere Firmen, die stärker werden könnten, wenn ein Kooperationsnetz geschaffen würde. Die durch Digitalisierung und Elektromobilität geschaffenen Möglichkeiten müssten genutzt, der Umweltschutz durch Anwendung ökologischer Prinzipien vorangebracht werden.

Die Firma ATI Küste kündigte an, sie werde ab Herbst 2019 „Regionale Innovationstage” organisieren, zuerst in Torgelow, dann in Barth und Wolgast.

Auf die Frage, ob die Firma ARUP nicht auch ein Büro in Stettin eröffnen wolle, antwortete Gereon Uerz, das sollte man erwägen.

* * *

Vielleicht sollte die nächste Denkfabrik in Stettin organisiert werden. Wenn der Landkreis Vorpommern-Greifswald heute beste Chancen für die Zukunft hat, dann gilt das erst recht für Stettin und die grenzüberschreitende Metropolregion. Das gilt es zu nutzen.

Phantasie?

Bogdan TWARDOCHLEB

 Das Symposion wurde simultan ins Polnische übersetzt. Übersetzung: Agata Prochotta-Miłek

 Aus dem Polnischen von Ruth HENNING

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