Derzeit wandert die Ausstellung „Im Fluss der Zeit – Jüdisches Leben an der Oder” durch Deutschland und Polen, die einen seltenen Blick auf jüdische Geschichte wirft. Bis 5. November ist sie im Roten Rathaus in Berlin (Wappensaal) zu sehen. Sie ist ein Projekt des Deutschen Kulturforums östliches Europa. Die Słubicer Historikerin Magdalena Abraham-Diefenbach hat die Ausstellung recherchiert und mitkuratiert.
Woher kam die Idee eine Ausstellung über jüdisches Leben ausgerechnet im Oderraum zu machen?
Die Idee hatte meine Kollegin Magdalena Gebala, damals Kulturreferentin für Pommern und Ostbrandenburg in Greifswald. Sie hatte den Sammelband „Das war mal unsere Heimat…” gelesen, der nach einer Konferenz zur jüdischen Geschichte im preußischen Osten entstanden war. Die Region östlich der Oder-Neiße-Grenze wurde von deutschen und polnischen Historikern in Bezug auf jüdische Geschichte lange vernachlässigt.
Zu jüdischer Geschichte wird eigentlich viel geforscht. Warum in dieser Gegend nicht?
Die Geschichte passt nicht in die Narration über polnische Juden, die z.B. im POLIN, das Museum der polnischen Juden in Warschau dargestellt wird, denn es waren vor allem deutsche Juden, die Gegend ist historisch deutsch geprägt. Und für deutsche Historiker sind diese Gebiete erstens tiefste Provinz und zweitens liegen sie hinter der Grenze, daher gerieten sie aus dem Blick.
Gibt es eine spezifische Beziehung der Juden zu diesem Fluß?
Nein. Die Ausstellung dreht sich um Gebiete, die beiderseits der Oder und zumeist östlich der heutigen Grenze zwischen Deutschland und Polen liegen. Das alte deutsch-polnische Grenzland, das weiter östlich lag, war besonders jüdisch geprägt, weil dort königliche polnische Städte wie Meseritz (Międzyrzecz) oder Schwerin an der Warthe (Skwierzyna) geflüchteten Juden Schutz boten. Die Oder selbst war ja bis 1945 kein teilender Fluß. All die regionalen Gebilde wie Schlesien, Brandenburg, Pommern, Lubuskie zu erklären, ist jedoch umständlich. Die Bezeichnung Oderraum ist der Versuch, diese Region zu fassen. Außerdem wollten wir das Fließende und Vergehende beschreiben. Wir zeigen ausgewählte Momente dieser jüdischen Geschichte: aus Mittelalter, Kaiserreich, Nazi-Zeit, DDR, Nachkriegspolen.
Wo hast du nach Quellen und Exponaten gesucht?
Vor allem in Archiven in Polen und Deutschland. Einige Bilder kommen aus schon digitalisierten Sammlungen, zum Beispiel dem Holocaust Memorial Museum in Washington oder vom Staatlichen Russischen Militärarchiv in Moskau. Aber auch aus Archiven von Privatleuten aus Schweden, Israel, Polen, Deutschland. Wir haben rund zwei Jahre recherchiert. Es ist eine unendliche Arbeit.
Weil die Geschichte so verschüttet ist?
Ja, durch die Shoah, aber auch frührere Migration, sind die Geschichten und die Menschen in der ganzen Welt verstreut. Zum Beispiel habe ich versucht, Fotos von brennenden Synagogen von 1938 aus dieser Region zusammenzutragen. Drei Fotos zeigen wir auf der Ausstellungstafel –allein in Schlesien haben aber 80 Synagogen gebrannt. Es gibt nicht viele Bilder, denn die Täter haben in der Nacht nicht dokumentiert. Und die Bilder, die es gibt, sind oft schlecht verwahrt. Es kursieren mehr oder wenige gute Scans im Internet ohne richtige Quellenangaben. In Oppeln habe ich die Kopie eines Fotos ausfindig gemacht, aber es ist mir nicht gelungen das Original zu finden. In Stettin gibt es ein interessantes Foto von der Reichspogromnacht, das viele Schaulustige vor der brennenden Synagoge zeigt, leider unscharf. Ich fand das Bild auf sedina.pl, das Original soll in Lübeck liegen, aber dort antwortete mir niemand auf Anfragen. Private Besitzer solcher Artefakte sterben und übergeben sie niemandem. Dieses Erbe müsste unbedingt von Profis systematisch gesammelt und geordnet werden, sonst geht immer mehr verloren.
Interview: Nancy WALDMANN
Die Finissage ist am 5. November um 17 Uhr statt. Danach wandern die in deutscher und polnischer Sprache verfassten Ausstellungstafeln nach Gorzów Wielkopolski, wo in der Wojewodschaftsbibliothek am 9. November die Eröffnung stattfindet mit einem Vortrag von Robert Piotrowski über die Landsberger Juden. 2019 soll sie in Greifswald, Stettin, Stargard, Chojna, Międzyrzecz und Frankfurt (Oder)/ Słubice gezeigt werden. Info: www.kulturforum.info