Die Regenbogenfabrik in Berlin-Kreuzberg ist bekannt, ja vielleicht schon Kult. Kürzlich fand dort eine Diskussion statt, die Berliner Frauen die Atmosphäre nahebringen wollte, die derzeit Debatten über Feminismus und Frauenrechte in Polen umgibt. Dazu redeten die Danzigerin Publizistin und Übersetzerin Ewa Maria Slaska, die seit mehr als 30 Jahren in Berlin lebt, und Inga Iwasiów, Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin aus Stettin.
Was bedeutet Feminismus heute – schon das sorgte für Überraschungen. Denn beide Autorinnen fanden, dass es heute viel schwieriger als in der Vergangenheit sei, den Begriff Feminismus zu definieren.
„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht”, zögerte Inga Iwasiów. „Ich habe mich schon vor 30 Jahren in der feministischen Bewegung engagiert, aber damals ging es uns vor allem darum, Gleichberechtigung für Frauen zu erreichen. Und es ging uns um die Sprache, in der über Frauen gesprochen wurde. Der Feminismus heute ist vielschichtiger und es gibt neue, manchmal schwer auszumachende Probleme, die uns vor neue Herausforderungen stellen.”
Warum der Feminismus sovielen Feinde und soviel Spott ausgesetzt sei? „Weil sich unterworfene Frauen und verängstigte Männer vor ihm fürchten”, sagte Iwasiów. „Andernfalls wären feministische Errungenschaften als Gut der modernen Zivilisation bereits anerkannt.” Ewa Maria Slaska stimmte zu: „Feminismus mögen jene nicht, die annehmen, się könnten etwas verlieren, wenn Frauen die vollen Rechte und Freiheiten erlangten.”
Für beide Autorinnen waren ihre feministischen Vorbilder ihre Mütter und Großmütter. Sie hätten mit dem Mut und dem Bewusstsein gelebt, dass ihre Haltung emotional und moralisch die nachfolgenden Generationen prägt.
Inga Iwasiów dachte über den Einfluß des Feminismus auf die Heldinnen ihrer Bücher nach. „Jede von ihnen hat Eigenschaften von mir, auch in der Hinsicht, dass się Feministinnen sind. Ich schreibe über Frauen, die bewusst Rollen abwerfen, die ihnen aufgenötigt wurden. Sie müssen nicht Mutter oder glückliche Geliebte sein. In meinen Erzählungen können Frauen beispielsweise Alkoholikerinnen sein. Sie können ein intensives Sexualleben führen und ihren individuellen Bedürfnissen folgen. Und nicht die Pflichten erfüllen, die ihnen die Gesellschaft auferlegt.”
Diskutiert wurde auch über Politik, besonders die Frage des Abtreibungsrechts. Ewa Maria Slaska legte die deutsche Rechtslage dazu dar und kam mit Iwasiów zu dem Schluss, dass sich die deutsche und polnische Gesetzgebung nicht wesentlich unterscheidet. Dennoch, dieser „kleine Unterschied” ermöglicht in der Praxis den Frauen in Deutschland die Abtreibung, nachdem się eine medizinische und psychologische Beratung in Anspruch genommen haben. Das Leben der Frauen in Polen hingegen wird zur Qual, denn es lässt Abtreibung nur bei außergewöhnlichen gesundheitlichen Gefahren zu und wird selbst dann noch von extremen Verboten eingeschränkt.
Intensiv zur Sprache kam die Durchsetzung der Rechte von Patientinnen und die Verantwortung der Ärzte. Häufig werde die Gewissensklausel missbraucht, Frauen würden in die Irre geführt bei pränatalen Untersuchungen und Abtreibungsprozeduren zögen sich bis ins Unendliche bis schließlich die Abtreibung nicht mehr möglich ist, selbst in rechtlich zulässigen Situationen. Die Diskutantinnen wiesen auch auf den erschwerten Zugang zu Verhütungsmitteln hin, auf fehlende Sexualerziehung und auf die Zensur in Schulbüchern in Bezug auf diese Themen.
Das sorgte für Aufregung im Saal. „So etwas gibt es in einem europäischen Land im 21. Jahrhundert? Das ist absurd, schlimmer als im Mittelalter” hörte man Stimmen im Publikum.
Am Ende drehte sich die Diskussion um die Sprache der öffentlichen Debatte. Iwasiów hielt die Losung „Abtreibung ist OK” nachvollziehbar. „Ich denke, es ist eine emotionale Reaktion, eine Gegenantwort zu dem Satz ‘Abtreibung ist Mord’. Wenn die einen in die Debatte eine radikale Position und Sprache einführen, führt das dazu, dass auch die Gegenseite sich schärfer artikuliert – da genügen keine artigen und neutralen Losungen. Gleichzeitig bin ich nicht sicher, ob diese Strategie nicht auch Frauen mit gemäßigten Positionen ausschließt. Und das sind die meisten”, gab Iwasiów zu Bedenken.
Beunruhigt äußerten sich beide Autorinnen über den Aktionismus in den gegenwärtigen Initiativen für die Sache der Frauen. Es fehle eine langfristige Arbeit mit dem Ziel, Stereotypen zu verändern und auf die juristische Bildung einzuwirken. Eminent wichtig ist es, dass Frauen sich gegenseitig unterstützen und solidarisch sind. Einig waren sich Iwasiów und Slaska darin, dass es ein Bewusstsein braucht dafür, dass Feminismus nicht nur etwas für Eliten, Intellektuelle und Künstler*innen ist, sondern dass er jede Frau unabhängig von ihrem sozialem und beruflichem Status und ihrer Ausbildung einschließt.
Monika LESNER
* Gründerin und Chefredakteurin des Deutsch-Polnischen Monatsmagazin „Unter Frauen – Między kobietami“
Die Regenbogenfabrik in Berlin-Kreuzberg (Lausitzerstraße 22) ist schon Kult
Fot.: REGENBOGENFABRIK
Aus dem Polnischen von Nancy WALDMANN