Die erste Stettiner Pride Parade am 15. September schlug alle polnischen Rekorde – überraschend für alle, die dabei waren – auch für mich. Eben weil ich in Stettin geboren bin und dort meine Kindheit verbracht habe. Solche Veranstaltungen kenne ich nur aus Deutschland und aus Warschau, wo ich studiert habe. Ich habe nie von einer Parade in Stettin geträumt. Und es schien mir auch wenig realistisch, besonders in der jetzigen politischen Situation. Umso mehr hat mich die Nachricht überrascht, die eine Freundin mit mir auf Facebook teilte. Mit meiner Teilnahme wollte ich die Entwicklung in einer Stadt unterstützen, mit der ich mich emotional verbunden fühle. Zusammen mit Freunden aus Stettin und Berlin machten wir uns auf den Weg. Bald war klar, dass in keiner anderen polnischen Stadt so viele Leute gleich zur ersten Parade kamen. Ich war erstaunt. Genauso wie Monika Tichy, die Vorsitzende des Veranstalters „Lambda Szczecin”, mit der ich vor und nach der Parade sprach. Der Pride sei „das am meisten kommentierte Regenbogen-Event des Jahres” sowohl in den sozialen Medien, als auch im Fernsehen und in der Presse, und zwar auch im Ausland. Rekordverdächtig war auch die Zahl der festgenommenen rechtsextremen Gegendemonstranten: 20.
Daher ist die Parade nicht nur ein Grund zur Freude, sondern gibt auch zu denken über eine Herausforderung für die nächsten Jahre. Die Gäste, die von Westen her anreisten, befremdete und betrübte die Aggression und Intoleranz, die sie in diesem Ausmaß nicht gewohnt sind. „Ich will nach Hause, ich fühle mich hier nicht sicher. War intensiv für mich”, bekennt ein Teilnehmer mir gegenüber auf der Rückfahrt im Zug nach Berlin. Ich dachte dasselbe. Von Anfang an fühlte ich mich ein wenig unwohl, im Vorfeld schon kamen aus Stettin Nachrichten über Vorkommnisse, die die Atmosphäre anheizten. Dann erfuhr ich, woher dieser Säure-Gestank kam auf der Wiese vor dem Theater „Kana”. Jemand hatte sie morgens hingekippt. Vor Beginn der Parade wurde auf Englisch gewarnt, man möge nicht mit Regenbogen-Flaggen provozieren, sie am besten einpacken und sich nach dem Ende der Parade nicht allein durch Stettin bewegen.
Das war nur ein Vorgeschmack dessen, was den Teilnehmer*innen zustoßen könnte, wären da nicht 300 Polizisten gewesen, kampfbereit als zögen sie in den Krieg, darunter eine Spezialeinheit, in Helmen, bewaffnet, einige zu Pferd, ein Hubschrauber, der über dem Zentrum kreiste. Als die Rechtsextremisten angriffen (zum Glück hat sie die Polizei eingekreist), war es schwer, Spaß zu haben während man in Gesichter voller Verachtung und Hass blickte, von „Patrioten“, die bis zum Ende der Route auf eine Gelegenheit zur Hetzjagd lauerten. Als ich zum Solidarnosc-Platz zurückkam, der von der Polizei umstellt war, hatte ich immer noch ein ungutes Gefühl. Die Polizisten hätten alles in ihrer Macht stehende getan, sie waren noch vor Ort als die Veranstaltung schon vorbei war, nur deswegen habe es keine Verletzten gegeben. „Ich bin ihnen dafür sehr dankbar”, sagte Monika.
Die polnische Polizei führt keine Statistiken über homophob motivierte Straftaten, erfuhr ich. Die Opfer trauten sich häufig nicht, bei der Polizei auszusagen. Schwule Männer, die ich in Polen kenne, ordnen meinst das persönliche Glück den gesellschaftlichen Normen unter. Ich kenne viele Geschichten. Sie verstecken sich, geben vor, jemand anderes zu sein. Ich hatte Glück, bin in einer liberalen Familie groß geworden und durch die Migration nach Deutschland in jungen Jahren habe ich gelernt, die Realität aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Dadurch wurde ich toleranter und befreite mich von vielen negativen Gefülen. Ich weiß, nicht jede*r macht die gleichen Erfahrungen, aber man lernt schließlich das ganze Leben lang. Deswegen ist Sexualerziehung und Minderheitenschutz in Ländern mit entwickelterer Demokratie die Norm – zum Wohl der ganzen Gesellschaft. Das ist eine zivilisatorische Errungenschaft.
Ich weiß, in Polen sieht die Realität anders aus. Aufklärung in der Schule gibt es nicht, zu Hause wird wenig darüber gesprochen. Meinst ist man sich selbst überlassen, die Lücke füllt die Katholische Kirche und das Internet. Man muss Menschen guten Willens wertschätzen: die, die von den Balkonen winken, Sponsoren freiheitlichen Initiativen und so engagierte Aktivistinnen wie Monika. Bevor sie sich für LGTB-Anliegen einsetzte, hat die junge Frau die polnischen Gymkhana-Meisterschaften organisiert, woraufhin Stettin den Titel gewann. Heute kämpft sie für Toleranz, Liebe und eine Pride Parade, die ein „Fest für alle” ist. Also auch für die Gäste aus Berlin, unabhängig davon, wen sie lieben, welche Haut- oder Haarfarbe sie haben, damit sie sich in Stettin nicht mehr fürchten und fremd fühlen müssen.
Modest Adam
Stettiner, Wahlberliner, Pole, schwul
Aus dem Polnichen von Nancy WALDMANN