Heutzutage kooperieren Wrocław und Berlin ähnlich wie zu Zeiten der Weimarer Republik, als Breslau und Berlin durch vielfältige Kontakte miteinander verbunden waren. Das zeigt die Ausstellung „Maler, Mentor, Magier. Otto Mueller und sein Netzwerk in Breslau“ im Hamburger Bahnhof – Museum der Gegenwart in Berlin.
Im deutschen Breslau gab es damals die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe und das Schlesische Museum für bildende Künste. Sie befanden sich in den Gebäuden, in denen heute die Kunsthochschule und das Nationalmuseum zu Hause sind.
1919 bis 1930 war Otto Mueller Professor an der deutschen Hochschule. Heute unterrichtet der Maler und Professor Zdzisław Nitka an der polnischen Hochschule. Er wurde in der Stadt geboren, in der Mueller begraben liegt.
Otto Mueller war in Breslau ein ausgesprochen wichtiger Künstler und ist es auch im heutigen Wrocław. Die Kuratorinnen der Ausstellung heben das besonders hervor, wenn sie die Präsentation seines Werks durch Berichte über die Hochschule ergänzen, an der er arbeitete. Seine Studenten werden vorgestellt, das künstlerische Leben in der Stadt, die Berlin-Breslauer Kontakte, die kosmopolitischen, der Moderne den Weg bereitenden Künstlergruppen, in denen es deutsche und polnische Künstler gab. Ähnlich wie in ganz Europa identifizierten sie sich mit den Protesten gegen Krieg, für Freiheit, Demokratisierung des Lebens, und der Forderung nach Gleichberechtigung und Gleichheit vor dem Gesetz.
Frei und geheimnisvoll
Otto Mueller wurde 1874 im niederschlesischen Dorf Liebau (heute Lubawka) geboren und starb 1930 in Obernigk (heute Oborniki Śląskie). Nach seinem Studium reiste er 1908 nach Berlin, wo er sich für drei Jahre den Expressionisten der Gruppe „Die Brücke“ anschloss.
Während des Ersten Weltkriegs war er an der Front. Nach Kriegsende wohnte er kurz im damals revolutionären Berlin und begann dann 1919 mit seiner Arbeit in Breslau an der Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe, die zu den innovativsten Kunsthochschulen in Europa zählte.
Schnell entdeckte der bekannte Galerist Ferdinand Möller die Modernität des Kunstschaffens von Mueller. Als Eigentümer einer Kunstgalerie präsentierte und förderte er dessen Kunstwerke – auch in Berlin.
Biographen beschreiben Otto Mueller als freisinnigen Künstler mit einer starken Persönlichkeit, als geheimnisvoll, charismatisch, sogar als magisch. Das kann man auch in der Ausstellung sehen. Die Kuratorin Dagmar Schmengler spricht von Muellers unkonventionellen didaktischen Methoden und betont, die Studentinnen und Studenten hätten ihn als Meister und Mentor anerkannt. Zu ihnen gehörte auch der große Maler, Tänzer und Komponist Alexander Camaro, sowie Jan Cybis, der 1921 nach Krakau umzog. Für ihn waren Otto Muellers Bilder voller intensiver Emotionen und Farben.
Weiblichkeit und Schönheit
Die Ausstellung konzentriert sich auf die Breslauer Schaffensperiode von Otto Mueller. Laut Kuratorin geht es um eine „sehr persönliche Geschichte“, um charakteristische Bilder und Grafiken des Künstlers.
Mueller zeichnete feine Gestalten junger Mädchen, junger Frauen und Liebespaare in stark vereinfachten Formen, versunken in einer Landschaft ohne besondere Einzelheiten: im Wald, am Wasser, auf Wiesen.
Sie gehen baden, wirken sinnlich und gehören zur Harmonie der Natur. Sie sind aber auch melancholisch, denn die Realität der damaligen Zeiten sah ganz anders aus, schwer und grau. Mueller malte seine Gestalten mit sanfter, fließender und eleganter Linie, in dezenten Pastelltönen (Leimfarben auf grobem Rupfen als Malgrund). Sie erinnern an Barock-Fresken und an den modernen Jugendstil. Frauen inspirierten ihn. In seinem Schaffen waren Weiblichkeit, Liebe, Körperlichkeit, Kunst und Schönheit ein und dasselbe. Es gibt ausdrucksvolle, intensive, starke Bilder, wie die absolut ungewöhnlichen „Akt vor blauem Grund“ und „Junges Mädchen vor Männerköpfen“.
Auch Porträts von Mueller und ihm nahestehender Personen, zeitgenössische Landschaften und Bilder, wie die suggestive „Zigeunermadonna“ und die Szene „Gehöft mit Esel und Kind“, werden in der Ausstellung gezeigt. In weiteren Bildern sieht man Otto Mueller als Magier, mit unterschiedlichen Masken, als Maler, der Masken malt („Paar mit Maske“) und auch als Zauberer. Er war eine wichtige Figur in der damaligen Breslauer Bohème.
Modernität der Akademie
Die Ausstellung zeigt etwa 100 Bilder, Grafiken und Zeichnungen, Fotos aus der Breslauer Akademie, Dokumente, eine Landkarte, die viele jüngere Menschen studieren, weil sie zeigt, wie und wo vor dem Ersten Weltkrieg die deutsch-polnische Grenze verlief.
Von 1925 bis 1931 leitete Oskar Moll die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe. Damals war sie eine „moderne und weltbekannte künstlerisch-pädagogische Institution“, schrieb Johannes Molzahn, Schüler von Mueller. Außergewöhnlich war sie unter anderem deshalb, weil die Studierenden Seminare mit den Repräsentanten unterschiedlicher Kunstrichtungen besuchten: Impressionisten, Anhänger des Jugendstils, Expressionisten, die wichtigsten Künstler und Gründer des Bauhauses, der Avantgarde. Sie entdeckten auch den schlesischen Barock.
1933 lösten die Nazis die Akademie auf. Die Werke vieler Professoren und Absolventen zählten sie zur sogenannten „entarteten Kunst“, auch Otto Mueller.
Heute pflegt die Breslauer Akademie der Künste die besten Traditionen der früheren Staatlichen Akademie für Kunst und Kunstgewerbe. Deshalb werden auf der Berliner Ausstellung auch Werke von Hochschullehrern wie Zdzisław Nitka gezeigt. In dessen Bildern ist der Dialog mit dem Schaffen von Otto Mueller erkennbar.
Die Ausstellung präsentiert auch Dokumente der Zusammenarbeit zwischen dem Schlesischen Museum für bildenden Künste und der Berliner Nationalgalerie.
Künstlergemeinschaft
Die Verbindung Muellers mit der Künstlergruppe „Die Brücke“ ist laut Kuratorin Ausgangspunkt der Erzählung über die Gemeinsamkeit expressionistischen Denkens deutscher und polnischer Künstler. So zum Beispiel bei den Künstlergruppen „Bunt“ (Revolte) und „Zdrój“ (Quelle) in Posen, den Berliner Gruppen „Die Aktion“ und „Sturm“ und der Gruppe „Jung Idysz“ in Łódź. Davon zeugt auch das Schaffen des jüdischen Konstruktivisten Henryk Berlewi – ebenfalls in Łódz – und des expressionistischen, deutsch-polnischen Ehepaars Margarete Kubicka und Stanisław Kubicki.
Diese Gemeinschaft umfasste auch mit Breslau verbundene jüdische Künstler, Freunde von Otto Mueller, wie Isidor Aschheim und Heinrich Tischler, den in Polen unbekannten Kunstsammler Ismar Littmann (1879-1934) und den polnischen Juden Jankel Adler. Dieser Kreis könnte auch erheblich größer gewesen sein. Das suggerieren die Kuratorinnen, indem sie Selbstporträts von Stanisław Ignacy Witkiewicz („Die letzte Zigarette des Verurteilten“), Otto Mueller („Selbstporträt mit Pentagram“) und Landschaften von Wojciech Weiss und Alexander Camaro nebeneinander stellen, Künstler, die sich nie persönlich kennengelernt haben.
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Otto Mueller starb 1930. Er erlebte die nationalsozialistischen Repressionen nicht mehr, von der die Breslauer Akademie und viele Künstler betroffen waren, deren Schaffen die Nazis als „entartete Kunst“ charakterisierten. Auch Otto Muellers Werke wurden aus deutschen Galerien und Museen unter anderem im heutigen Wrocław und Szczecin entfernt.
Die Ausstellung wurde im Rahmen von „100 Jahre Bauhaus“ unter der Schirmherrschaft der Staatlichen Museen in Berlin in Zusammenarbeit mit der Stiftung Alexander und Renata Camaro und dem Nationalmuseum in Breslau vorbereitet. Alle Erläuterungen sind in deutscher und polnischer Sprache. Kuratorin und Initiatorin der Ausstellung ist Dagmar Schmengler, ihre Assistentin – Agnes Kern.
Diese beiden und Lidia Głuchowska sind auch Redakteurinnen des umfangreichen Katalogs. Dort finden sich zahlreiche Reproduktionen und Essays von Autorinnen und Autoren aus Deutschland und Polen. Die Texte des Katalogs liegen in deutscher und polnischer Sprache vor.
In Berlin erfreut sich die Ausstellung gleichbleibend starken Interesses, sie ist bis zum 3. März zu sehen. Am 8. April wird sie dann im Nationalmuseum in Breslau eröffnet.
http://ottomuellerinberlin.de
Bogdan TWARDOCHLEB
Aus dem Polnischen von Ruth HENNING