„Die polnische Sprache hat in Deutschland einen anderen Stellenwert als die deutsche in Polen, daher müssen wir uns ihr auch anders nähern”, sagt Agnieszka Misiuk von der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Mecklenburg-Vorpommern. „Man muss die Leute für die polnische Kultur und Sprache sensibilisieren. Ein genauer Plan zum kontinuierlichen und durchgängigen Nachbarsprachen-Erwerb ist debei wichtig.”
Seit 2017 wird in Stettin und in ausgewählten Orten der Landkreise Vorpommern-Greifswald und Uckermark das Projekt zum Erwerb der Nachbarsprache realisiert. Denn das Erlernen beider Sprachen der Grenzregion gilt als „Schlüssel für die Kommunikation in der Euroregion Pomerania.” Interessiert zeigten sich 24 Bildungseinrichtungen in Stettin und 34 in den deutschen Landkreisen. Hauptpartner des Projekts ist die Stadt Stettin, gefördert wird es mit 2,2 Millionen Euro im Rahmen des Programms Interreg Va.
In Stettin bieten viele Schulen bereits Deutschunterricht an. Sie bekommen Zuschüsse, wenn sie die Stundenzahl heraufsetzen. In Deutschland, wo der Polnischunterricht deutlich weniger populär ist, werden Bildungseinrichtungen unterstützt, die den Unterricht im Rahmen des Projekts einführen.
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Agnieszka Misiuk arbeitet in der RAA. Die Einrichtung gehört zu den deutschen Projektpartnern und ist zusammen mit der Universität Greifswald dafür verantwortlich, dass die Mitarbeiter in den Kindergärten und Schulen interkulturelle Kompetenzen erlangen und die Kommunen für kulturelle Vielfalt, Zweisprachigkeit, Polen und deutsch-polnische Angelegenheiten sensibilisiert werden.
Im Januar diskutierte Misiuk über diese Fragen mit dem Team des Kindergartens in Ducherow. „Es gehe nicht darum, dass alle Polnisch lernen müssen, sondern dass es sich lohne die Nachbarsprache zu lernen – gerade in der Grenzregion“, sagt sie.
Kürzlich war sie erneut in Ducherow. Dies Mal traf sie Eltern und Lehrer*innen. Die Kinder können dort ab September ein oder zwei Stunden pro Woche Polnisch lernen.
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In vier Kindergärten in Vorpommern sowie Hohengüstow und Schmölln (Uckermark) basiert der Unterricht auf dem „natürlichen Eintauchen in die Sprache”, das heißt, es werden Bedingungen geschaffen, die denen ähneln, in der Kinder ihre Muttersprache lernen. Die Lehrer*innen sind bei der RAA und dem Amt Gramzow beschäftigt und arbeiten in Penkun, im Kindergarten Randow-Spatzen in Löcknitz, in Zinnowitz, in Ahlbeck (Usedom) und im Landkreis Uckermark.
Sie sprechen mit den Kindern während der Mahlzeit, auf einem Spaziergang oder beim Spielen polnisch. Die Kinder hören also polnische Wörter und sehen gleichzeitig die dazu passenden Gegenstände oder üben eine dementsprechende Tätigkeit aus. Sie spielen und lernen dabei polnisch.
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Die Eltern befürchteten oft, ihre Kinder könnten ihre Muttersprache vernachlässigen, wenn sie zu früh eine Fremdsprache lernten, berichtet Misiuk.
„Ich erkläre ihnen, dass das kein Widerspruch sein muss. Wir leben in der Nähe des Nachbarlandes und der Menschen, die dort wohnen. In Stettin entsteht eine sich dynamisch entwickelnde Metropolregion. Eine Fremdsprache zu lernen, unterstützt auch die Entwicklung ihrer kognitiven Fähigkeiten. Je früher sie anfangen zu lernen, desto leichter fällt es ihnen später weitere Fremdsprachen zu lernen, zum Beispiel Englisch.”
Agnieszka Misiuk arbeitet mit den Eltern sehr gut zusammen. Sie hatte es sich schwieriger vorgestellt.
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In Deutschland meldeten sich 15 Kindergärten und elf Grundschulen aus dem Landkreis Vorpommern-Greifswald, drei aus dem Landkreis Uckermark, sowie fünf Realschulen zur Teilnahme an. Im April gab es Schulungen für die Erzieher*innen der Kindergärten in Löcknitz und Ückermünde, für Mai sind Schulungen für die Polnischlehrer*innen in Heringsdorf (Usedom) geplant. In der dortigen Schule ist es schon seit langem möglich Polnisch von der ersten bis zur vierten Klasse zu lernen. Die Eltern der Schüler*innen der evangelischen Schule in Benz (ebenfalls Usedom) wollen, dass man von Klasse 1 bis Klasse 6 Polnisch lernen kann. In Benz wird auch im Kindergarten Polnisch gelernt.
Im letzten Jahr sprach Misiuk in der Grundschule Ducherow über das Projekt. Kurz darauf fuhr die Direktorin mit einer Gruppe Schüler*innen nach Stettin zu einem vom Landkreis Vorpommern-Greifswald und der Stettiner Grundschule Nr. 7 organisierten Treffen. Aus Deutschland waren über 150 Kinder gekommen, die zufrieden nach Hause zurückkehrten.
In der Schule in Ducherow unterrichtet seit zwei Monaten ein Sportlehrer aus Polen Polnisch. Der Sprachunterricht ist für ihn eine Herausforderung, aber alle, die ihn als Lehrer kennen, sind sicher, dass er es schafft.
An dem Projekt nehmen auch Schulen aus der Nähe von Stettin teil. In Mewegen lernen 13 Kinder Polnisch, in Jatznik 14, und in der Grundschule Löcknitz 15. In dem etwas entfernter gelegenen Strasburg lernen etwa dreißig Schüĺer*innen in der 3. und 4. Klasse Polnisch.
„In keiner Einrichtung bin ich auf eine Ablehnung des Polnischunterrichts gestoßen. Wir sind guten Mutes, dass sich das Projekt weiterentwickelt. Zielgruppe sind hauptsächlich deutsche Kinder, die Polnisch als Fremdsprache lernen”, sagt Misiuk.
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Für September ist in Zinnowitz eine Schulung geplant, die sich um den Einfluss der Zweisprachigkeit auf die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten der Kinder dreht. Im November soll in Pasewalk ein großes Bildungsforum stattfinden. Im Projekt verfolgt man das Prinzip des „kontinuierlichen, durchgängigen Nachbarsprachen-Erwerbs (von der Kita bis zum Schulabschluss)”: Ein Kind, dass im Kindergarten anfängt eine Fremdsprache zu lernen, soll es in der Schule fortsetzen können. Es gibt nichts Schlimmeres, als den Unterricht zu unterbrechen oder abzubrechen. Das kam schon vor, etwa wenn Projektgelder zu Ende gingen. Derzeit ist das Projekt bis zum Jahr 2020 finanziell gesichert. Alle Partner wollen es fortsetzen.
Die Partner: Stadt Stettin, RAA Mecklenburg-Vorpommern, Westpommersche Zentrum für See- und Polytechnische Bildung in Stettin, Universität Greifswald, Landkreise Vorpommern-Greifswald und Uckermark.
Vollständiger Projektname: Nachbarsprachen-Erwerb von der Kita bis zum Schulabschluss – der Schlüssel für die Kommunikation in der Euroregion POMERANIA.
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„In der Grenzregion treffen sich Polen und Deutsche tagtäglich, also lohnt es sich beide Sprachen zu kennen. Nach Meinung der Projektpartner wäre es am besten, wenn in den deutschen Schulen der Grenzregion Polnisch als zweite Fremdsprache neben Englisch eingeführt würde”, erklärt Agnieszka Misiuk.
Paweł MALICKI
Freie Journalist, lebt in Stettin
Aus dem Polnischen von Ruth HENNING