Als die Affäre um das polnische „Holocaust-Gesetz” ihren Lauf nahm, sagte der Chef der Regierungspartei PiS Jarosław Kaczyński: „Die Wahrheit verteidigt sich nicht von selbst. Man muss einen Mechanismus schaffen und genau das tun wir gerade: wir schaffen eine Maschinerie zum Schutz dieser Wahrheit.”
Es täuscht, würde man Kaczyńskis Ankündigung dieser vermeintlichen Wahrheitsschutzmaschinerie lediglich auf die Frage der Rolle der Polen bei der Ermordung der Juden beziehen. Das sogenannte Holocaust-Gesetz stellt unter Strafe, wer das nationale Nest beschmutzt (hier grüßt der romantische polnische Dichter Norwid: „Ist ein Nestbeschmutzer der Vogel, der ins Nest nässt, oder jener, der darüber zu sprechen nicht zulässt?”). Schon Wochen vor seiner Verabschiedung meldete sich Professor Andrzej Zybertowicz, ein prominenter Intellektueller des Regierungslagers, mit dem Projekt „Maschine für Narrationssicherheit” zu Wort. Gemeint war damit eine verstärkte PR, die die Arbeit der PiS besser verkauft. Zybertowicz war nämlich beunruhigt, dass die Idee des „Guten Wandels” der PiS-Regierung gesellschaftlich nicht genügend Unterstützung erfährt. Und nun teilt Kaczyński mit, man sei „gerade dabei eine solche Maschinerie zu schaffen”.
Unter die Räder der Maschine geraten jene Draufgänger, die es wagen, ihre Version der historischen Wahrheit zu äußern. Kommen auch die sogenannten Regionalisten aus der deutsch-polnischen Grenzregion an die Reihe? Die, die Polens Beitritt zur EU ernst nahmen und die Nachbarn nicht wie ewige Feinde, sondern wie freundlich gesinnte Partner betrachten?
Zu einem Rädchen im Getriebe der „Maschine für Narrationssicherheit” ist offenbar das reformierte West-Institut (Instytut Zachodni) in Poznań geworden. Bevor PiS regierte, trug es im Namen die Bezeichnung „Wissenschaftliche Forschungseinrichtung”. Seit Dezember 2015 heißt es nur noch „Zygmunt Wojciechowski-West-Institut”. Formell fällt es nicht mehr unter das Gesetz über Forschungsinstitute und untersteht auch nicht mehr dem Wissenschaftsressort, sondern direkt dem Premierminister. Inhaltlich betreibt das Institut Studien zu Deutschland und zu den, bis 1945 deutschen, Nord- und Westgebieten Polens. Während der Abstimmung im Sejm über das Gesetz zum West-Institut haben einige Abgeordnete eine Korrektur vorgeschlagen: Das Interessensgebiet des Instituts möge nicht so sehr Deutschland sein, sondern vielmehr die gesamte Europäische Union mit besonderer Berücksichtigung Deutschlands. Die Korrektur wurde abgelehnt.
Infolge der Neuausrichtung wurde 2016 ein Forschungsprogramm für Polens Nord- und Westgebiete aufgelegt. Koordiniert wird es vom Dokumentations- und Forschungszentrum „Pamięć i Przyszłość” (Erinnerung und Zukunft) in Wrocław, das mit anderen Forschungseinrichtungen zusammenarbeitet, die sich diesen Regionen widmen: Das Schlesische Institut in Opole, das Wojciech-Kętrzyński-Zentrum für Wissenschaftliche Studien in Olsztyn und das schon genannte West-Institut in Poznań. Das Forschungsprogramm drehte sich um Themen wie die staatliche Politik in den ehemals deutschen, 1945 Polen angeschlossenen Gebieten, um kulturelle und soziale Beziehungen dieser Gebiete zu den altpolnischen Regionen, Nationalitäten, Kultur, Sprache und Religion in den Nord- und Westgebieten, Studien zu Gegenwart und Entwicklung und zum kollektiven Gedächtnis. Forschungsthemen wie die Annäherung zwischen Deutschen und Polen bzw. zwischen früheren und jetzigen Bewohnern als Teil europäischer Integration kamen in diesem Programm nicht vor. Genau so wenig wie die Erfahrungen in den Euroregionen und die Rolle, die sie für das Hineinwachsen der Grenzlandbewohner in EU-Strukturen spielen.
Nach einem Jahr Pilotphase wird das Programm nun unter dem Namen „Netzwerk der Nord- und Westgebiete” weitergeführt. Das Dialogzentrum „Umbrüche” in Szczecin gehört jetzt auch dazu. Das Netzwerk will eine Zeitschrift herausgeben: den „Rocznik Ziem Zachodnich” (Jahrbuch der Westgebiete). Die einstige Chefin des West-Instituts in seinen goldenen Jahren Anna Wolff-Powęska stellte kürzlich in der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza” fest: „In den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten haben wir eine Werte- und Interessensgemeinschaft und wunderbare Zusammenarbeit erreicht. Jetzt versetzt uns PiS zurück in die Steinzeit, in die Barbarei.”
In der Geschichte gab es immer wieder Phasen des Rückschritts, aber früher oder später sind sie dem Druck der Moderne gewichen. Man muss also einen langen Atem haben. Und den haben wir. Lassen wir nicht zu, dass die zwischenmenschlichen Kontakte über die Oder hinweg abreißen! Pflegen wir unsere Errungenschaften. Schaffen wir Fakten, indem wir die Refugien unserer Rechte und unserer Wahrheit stärken. Auch das Recht auf eine eigene kulturelle Heimat, lokal wie national. Und auch das Recht auf geopolitische und historische Eigenarten.
Zbigniew CZARNUCH
Heimatforscher (geb. 1930), wohnt in Witnica (Vietz) bei Gorzów, Autor zahlreicher Publikationen über die frühere Neumark und heutige Ziemia Lubuska, aufgrund seines Einsatzes für die deutsch-polnische Verständigung mit dem Georg-Dehio-Kulturpreis und den Ehrenpreis der Stiftung Brandenburg ausgezeichnet. Pfadfinder, Kavalier des Ordens des Lächelns.
Aus dem Polnischen von Nancy WALDMANN