Hinter der Frage, wie man Frankfurts polnische Nachbarkommune bezeichnet, steht vor allem der Respekt vor deren Bewohnern. Bei Posen, Stettin oder Danzig ist es ein wenig anders.
Die AfD lebt von Provokationen. Die Taktik der Partei, „in Grenzbereiche des Sagbaren vorzustoßen”, und anschließend „die Vorwürfe des Gegners durch die Zurschaustellung der eigenen Harmlosigkeit abzuwehren und zu betonen, dass nichts von dem, was man fordere, hinter die zivilgesellschaftlichen Standards zurückfalle”, hat der Vordenker der Partei, Götz Kubitschek, bereits vor zweieinhalb Jahren in seinem Aufsatz „Selbstverharmlosung” beschrieben.
Wie diese Taktik funktioniert, hat der Bundesvorsitzende Alexander Gauland gezeigt, als er Hitler und die Nazis als „nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte” beschrieb. Und der rechte Frontmann Björn Höcke, als er das Holocaust-Mahnmal in Berlin zweideutig als „Denkmal der Schande” bezeichnete.
Die Frankfurter AfD übt sich nun auf lokaler Ebene in dieser Taktik, indem sie die polnische Nachbarstadt als „Dammvorstadt” bezeichnet. Ihre Vertreter berufen sich darauf, dass es sich um eine historische Bezeichnung wie Breslau für Wrocław oder Posen für Poznań handele. Tatsächlich findet sich die Bezeichnung „Dammvorstadt” sogar in einigen aktuellen Schulatlanten, die von Frankfurtern und anderen Brandenburger Schülern genutzt werden.
Im „Haak Weltatlas” etwa, der aus dem Klett-Verlag stammt, steht Słubice in Klammern unter dem einstigen deutschen Namen. So wie Rzepin unter Reppen oder Ośno Lubuskie unter Drossen. Auch wenn man mit dem Handy in Słubice fotografiert, kann es sein, dass als Aufnahmeort „Dammvorstadt” angezeigt wird.
Haben die AfD-Vertreter also Recht, wenn sie ihren Sprachgebrauch entsprechend der anfangs beschriebenen Kubitschek-Taktik zu verharmlosen versuchen? Die Antwort lautet: Mitnichten! Denn die Dammvorstadt war – im Unterschied etwa zu Breslau oder Danzig – bis 1945 kein eigenständiger Ort, sondern ein Teil von Frankfurt. Erst durch die Grenzziehung an der Oder – die in Jalta und Potsdam ohne polnische Beteiligung erfolgte – ist es zur selbständigen Kommune geworden. Deren Bewohner dürfen sich zumindest gekränkt fühlen, wenn man ihre Stadt nur zu einer Vorstadt oder einem Anhängsel degradieren will.
Eine Bekannte aus Słubice beschreibt, dass sie sich deshalb „unangenehm berührt fühle”, weil sie solche Töne von Frankfurter Lokalpolitikern bisher nicht gewohnt war. Und weil sie – auch mit Blick auf die in Polen derzeit regierende Partei PiS, zu deren Repertoire antideutsche Töne gehören – ihre Kraft daraus schöpft, dass „wir hier an der Grenze längst einen anderen Umgang miteinander pflegen”. In Polen hat man – angesichts der bitteren Erfahrungen, die das Land über Jahrhunderte mit seinen Nachbarn machen musste – nun mal ein feines Gespür dafür entwickelt, mit welchen Intentionen die Deutschen reden.
Der Gebrauch des Wortes „Dammvorstadt” zerstört also viel mehr an positiven Errungenschaften, als sich die AfD-Vertreter möglicherweise selbst vorstellen können. Und es klingt zumindest hohl, wenn sich der Landtagsabgeordnete Wilko Möller einerseits als „überzeugten Europäer” bezeichnet, andererseits aber nicht ermessen kann oder will, was er und seine Parteifreunde mit dieser Debatte bereits bewirkt haben.
Gutes Miteinander
Noch einmal: Kaum ein Bewohner von Gdańsk oder Poznań wird etwas Negatives daran finden, wenn deutsche Touristen oder Geschäftsleute ihre Städte Danzig und Posen nennen. Denn Hunderttausende Deutsche haben in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen, dass sie an einem guten Miteinander interessiert sind und zahlreiche Dinge – wie etwa die polnische Gastfreundschaft, die Küche oder die Handwerker des Landes – sehr schätzen. Eine Herabwürdigung oder Geringschätzung, wie sie in der Bezeichnung „Dammvorstadt” steckt, wird jedoch entsprechende Reaktionen hervorrufen.
Dietrich SCHRÖDER
„Märkische Oderzeitung”