Das Haus Brandenburg hat ernsthafte Probleme. Es befindet sich in dem alten Städtchen Fürstenwalde und beherbergt Dokumente und Erinnerungsgegenstände an eine historische Landschaft, die deutsche Neumark, die seit 1945 nicht mehr existiert. Da dieses Landstück heute zur polnischen Wojewodschaft Lebus gehört, halten sich Lebuser Regionalhistoriker, die sich mit der Vergangenheit ihrer Region beschäftigen, häufig in dieser Einrichtung auf. Fürstenwalde hat 30.000 Einwohner und liegt an der Spree, auf halbem Weg zwischen dem Frankfurt (Oder), Kostrzyn/Küstrin und Berlin.
In der Folge des verlorenen Kriegs und der Grenzverschiebung zu Ungunsten des Kriegsverlierers Deutschland wurden 14 Millionen Deutsche gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und in den zwei neu geschaffenen separaten deutschen Staaten Zuflucht zu suchen. Auf die Flüchtlinge und Vertriebenen warteten aber weder leere Dörfer noch Städte. Sie kamen in zerstörten und überfüllten Städten und in dicht bevölkerten Dörfern an, deren Landwirte und Hauseigentümer sich vor ihnen verteidigten, indem sie sie als „schmutzigen Pöbel aus dem Osten” und „rote Pest” bezeichneten. Sie wollten sie nicht in ihrer Nähe haben, und wenn das nicht verhindert werden konnte, setzten sie ihnen zu und erniedrigten sie.
Diese dunkle Seite fehlender Solidarität im Nachkriegsdeutschland hat Andreas Kossert vor einem Jahrzehnt in seinem Buch „Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen” beschrieben. Er brach ein Tabu und widerlegte den Mythos von der humanitären Aufnahme der Ankömmlinge und vom harmonischen Zusammenleben mit den Einheimischen, worauf die Staatsmacht und die Kommunalverwaltungen großen Wert legten.
* * *
Die Lektüre des Buchs von Kossert hilft das Phänomen der Bewegung der Vertriebenen und ihrer Landsmannschaften zu verstehen. Den sozialen und psychologischen Nährboden dieser Bewegung erhellt die Begrifflichkeit der „Schicksalsgefährten”. Das gemeinsame Schicksal bestand darin, das eigene Haus verlassen zu müssen und das bittere Los in fremder Heimat zu akzeptieren. Von der Erbschaft des eigenen Besitzes ausgestoßen, aus ihren Landschaften und kulturellen Gemeinschaften herausgerissen, versuchten sie – wie alle Vertriebenen der Welt – sich dort, wo sie ankamen, mehr oder weniger einzurichten. Sie organisierten sich in Vereinen, tauschten auf ihren Zusammenkünften Informationen darüber aus, wer von den Verwandten und Bekannten noch lebte, wo er/sie wohnte, wie er/sie sich eingerichtet hat. Sie fragten wie und wo sie ihre Rechte geltend machen könnten und für wen sie bei den Wahlen stimmen sollten, damit ihre Angelegenheiten im Parlament gut vertreten würden. Ihre Vertreter erkämpften das Recht auf Fürsorge und Schutz und in den größeren Städten auch für ihre Vereine. Ihnen wurden Örtlichkeiten für Museen und Archive zugeteilt, in denen Dokumente und Erinnerungsgegenstände an das Geschehen und die Kultur der heimatlichen Gefilde aufbewahrt wurden und werden.
Die Vereine erhielten von der Regierung und den Kommunalverwaltungen Subventionen, sie gründeten Zeitschriften. So wurde ein Informationsaustausch möglich und die Verbindungen untereinander konnten aufrechterhalten werden. Wenn der polnische Leser, in der Regel Regionalhistoriker, diese Heimatblätter und Heimatbriefe nach Informationen über die Vergangenheit seiner von ihnen ererbten Heimat durchsucht, ist er überrascht und gerührt von der großen Anzahl der Seiten, die mit aktuellen Adressen und den Herkunftsorten gefüllt sind, vor allem mit der immer wieder aktualisierten und immer kürzer werdenden Liste der Abonnenten, die ihre Geburtstage feiern: 70, 75, 80 … Das zeigt, wie wichtig ihnen die Pflege der Beziehungen mit der Gemeinschaft ihrer alten Heimat war und ist.
* * *
Jahre sind vergangen. Die illusionären Vorstellungen vieler Vertriebener von einer möglichen Rückkehr in die verlorenen Gebiete wurde schließlich im Jahr 1991 durch den deutsch-polnischen Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit endgültig zu Fall gebracht, verstärkt noch durch die spätere Erklärung Polens, dem sich vereinigenden Europa beitreten zu wollen. Dieser Tendenz folgend reduzierte die Bundesrepublik die Subventionen für die Organisationen der Vertriebenen, um sie schließlich ganz einzustellen. Stattdessen wurden frühere Schirmherrschaften in direkte Partnerschaften mit den polnischen Städten und Landkreisen umgewandelt, aus denen die Vertriebenen stammten. Das war ein großer Schritt auf dem Weg zur Annäherung zwischen den ehemaligen und heutigen Einwohnern dieser Gebiete. Es entstand eine gute Zeit der Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen / Polen und Deutschen, die nun – im Unterschied zu früher – eine gemeinsame Liebe für das gleiche Stück Erde verbindet.
Allerdings reduziert sich mit der Zeit die Anzahl der Leserinnen und Leser der Zeitschriften der Landsmannschaften. Den betagten Gründern und Betreuern von Gedächtnis-Räumen, Bibliotheken und Archiven fehlt die Nachfolge, denn deren Kinder haben inzwischen andere Heimatorte. Nachdem die Landsmannschaften sich nach und nach auflösten, stellte sich die Frage, was mit den gesammelten Dokumenten und Erinnerungsobjekten geschehen sollte. Die Sammlungen der aufgelösten Einrichtungen in Pommern übernimmt das Pommersche Landesmuseum in Greifswald, die Sammlungen der schlesischen Organisationen das Schlesische Museum in Görlitz, aber wo sollen die Sammlungen aus der Neumark untergebracht werden?
* * *
Die Heimatorganisationen aus den ehemals zu Brandenburg (inklusive Berlin) gehörenden Landstrichen, die 1945 verloren gingen, wurden von der Landsmannschaft Berlin Mark-Brandenburg betreut. Wenn deren langjähriger Leiter und Redakteur Werner Bader auf die Frage, woher er denn stamme, antwortete aus der Neumark, hörte er fast immer: „Wo ist das denn?” Da ihn das immer irritiert hatte, entschloss er sich eine Einrichtung zu schaffen, die sich mit der Vergangenheit der Neumark beschäftigt. Anfangs sollte sie in Frankfurt (Oder) entstehen, wo gerade die Universität Viadrina wieder gegründet wurde. Die damaligen Stadtoberen waren zwar an der Zusammenarbeit mit Polen interessiert, wollten sich jedoch nicht das Leben erschweren. Dagegen erklärte sich das nahe gelegene Fürstenwalde damit einverstanden eine solche Einrichtung unterzubringen. Und so kam es 1999 dann auch dazu. Drei Jahre später übernahm die Stiftung Brandenburg das Haus in Fürstenwalde und nannte es Haus Brandenburg.
Bibliothek und Archiv der Landsmannschaft wurden dorthin gebracht und weitere Sammlungen aufgelöster Heimatorganisationen aufgenommen. Das Haus Brandenburg wurde schnell auch für die polnischen Regionalhistoriker der Wojewodschaft Lebus wichtig. Es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit der Regionalabteilung der Wojewodschaftsbibliothek und der Städtischen Öffentlichen Bibliothek in Gorzów, die seit 15 Jahren eine Serie von Lesungen unter dem Titel: „Neumark – eine vergessene Provinz. Ziemia Lubuska – Gemeinsame Wurzeln” organisieren. Die Vorträge werden in einer wissenschaftlichen Reihe veröffentlicht.
* * *
Die für das Haus Brandenburg verantwortliche Stiftung steht vor großen Problemen: Die Zahl der Unterstützer hat sich katastrophal verringert, die Öffnungszeiten mussten eingeschränkt werden und es fehlte an Räumen für die Ausstellung von Dokumenten und Erinnerungsgegenständen. Zuletzt sah es so aus, als könnte sich die Lage bessern. Die Stadt Frankfurt (Oder) wollte der Stiftung ein denkmalgeschütztes Gebäude, in dem sich zuvor das Stadtarchiv befunden hatte, übertragen, und das brandenburgische Kultusministerium erklärte sich bereit, das normale Funktionieren der Einrichtung finanziell zu garantieren.
Nun bleibt noch die Aufgabe der Renovierung und der Anpassung des alten Gebäudes an die neuen Funktionen. Dafür fehlt allerdings – jedenfalls bis jetzt – das Geld.
Zbigniew CZARNUCH
Geschichtslehrer in Rente, lebt in Witnica (Vietz) bei Gorzów, publizierte viele Arbeiten zur Geschichte der Stadt und Region, zu Grenzregion- und deutsch-polnischen Themen, mit dem Georg-Dehio-Preis des Deutschen Kulturforums östliches Europa geehrt.
Aus dem Polnischen von Ruth HENNING