In den Lebuser Städten und Städtchen der ehemaligen Neumark haben sich als Echo des industriellen Wohlstands dieser Gebiete zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert viele Fabrikanten-Villen erhalten, einige im architektonischen Stil der Neorenaissance und des Klassizismus, andere als wagemutige Werke des Jugendstils.
Unter ihnen gibt es ein für diese Region außergewöhnliches Bauwerk, einerseits aufgrund der in dieser Gegend einmaligen Inspiration durch italienische Villenarchitektur und andererseits auch deswegen, weil es von dem bekannten polnischen Architekten und Denkmalpfleger Sławomir Odrzywolski aus Krakau erbaut wurde. Obwohl er sein Werk im Jahr 1882 in der Krakauer „Technischen Zeitschrift” („Czasopismo Techniczne”) vorstellte, wurde die von ihm sogenannte „Villa des Fabrikanten Hoffmann in Vietz bei Berlin” vergessen.
Odrzywolski restaurierte die Krakauer Kathedrale auf dem Wawel
Sławomir Odrzywolski (1846 – 1933) war ein herausragender Architekt und Denkmalpfleger, Autor zahlreicher Publikationen, auch wissenschaftlicher Arbeiten. Er schrieb u.a. eine dreibändige Monografie über die Architektur des Königsschlosses auf dem Wawel und eine mehrteilige Arbeit mit dem Titel „Künstlerisch gestaltete Industriedenkmäler in Polen”.
Odrzywolski studierte am Technischen Institut in Krakau (1860-1866) und an der Bauakademie in Berlin (1866-1869), unternahm eine zweijährige Studienreise nach Italien und blieb dann ab 1878 für immer in Krakau. Er arbeitete als Professor am dortigen Technischen Institut und war Mitglied in der Kommission für Kunstgeschichte an der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Er war Denkmalpfleger in Westgalizien, betätigte sich in den Gesellschaften für Denkmalpflege, für Freunde der schönen Künste und für Liebhaber der Geschichte und Denkmäler. Er schuf viele repräsentative Gebäude der öffentlichen Wohlfahrt und stilvolle Häuser in Krakau, die bis heute bewundert werden, prachtvolle neugotische Kirchen in den Städtchen Kleinpolens, Schreine für das Czartoryski Museum in Krakau, den Orgelprospekt für eine Kirche im malerischen südostpolnischen Städtchen Biecz.
Das herausragendste Werk seines Schaffens ist zweifellos die Restauration der Kathedrale auf dem Wawel (1885-1904), nationales Pantheon und eines der wichtigsten Denkmäler polnischer Kultur. Nach Plänen von Odrzywolski wurden dort u.a. die Gitter um das Presbyterium geschaffen sowie der Sarkophag des berühmten Dichters der polnischen Romantik, Adam Mickiewicz. Rekonstruiert wurde der Baldachin über dem Sarkophag des polnischen Königs Władysław Łokietek und der Sigismund-Turm bekam eine weithin sichtbare Haube als monumentales Turmdach.
Die Villa als dankenswerter Auftrag
Man weiß nicht, wie Sławomir Odrzywolski an den Auftrag des Fabrikanten von Witnica (damals Vietz) kam. Vielleicht aufgrund von Kontakten zum bekannten Berliner Architekten und Beamten Wilhelm Neumann (1826-1907), mit dem er u.a. bei der Realisierung des Gebäudes der Württembergischen Gesandtschaft in Berlin zusammenarbeitete. Sicher ist nur, dass er diesen Auftrag 1878 in Berlin bekam und nach Fertigstellung des Projekts den Bau der Villa bis 1882 beaufsichtigte, in der letzten Phase auch per Korrespondenz aus Krakau. Das war seine erste selbstständige Auftrags-Realisierung auf der Grundlage seines Interesses für italienische Architektur nach der schon erwähnten Studienreise. Er war der Meinung, dass dieser Auftrag für ihn „die letzte Weihe als selbstständiger Künstler” werden sollte.
Den angenommenen Auftrag charakterisierte er so: „Zweifellos zählt der Bau einer Villa für einen Architekten zu den dankbarsten Aufgaben, selbst wenn bescheidene Mittel des Eigentümers ihn zu bestimmten Einschränkungen zwingen, sowohl hinsichtlich der Materialauswahl als auch der schmückenden Verzierungen.”
Acht Räume für die Dame und den Herrn des Hauses
In der Mitte des 19. Jahrhunderts war Vietz, heute Witnica unweit der deutsch-polnischen Grenze gelegen, ein provinzielles Zentrum, also eigentlich kein Ort zur Realisierung ehrgeiziger Architekturträume. Aber damals entstanden gerade hier viele Industriefabriken, wie eine bekannte Brauerei, Ziegelei, eine Fabrik zur Herstellung von Kacheln. Der Kaufmann Hoffmann aus Kostrzyn an der Oder gründete 1859 am Ort der alten Eisengießerei eine Maschinenfabrik. Sein Sohn Friedrich Wilhelm Hoffmann führte das Werk fort. Er beauftragte Odrzywolski mit Entwurf, Bau und Bauaufsicht der Villa im nördlichen Teil Witnicas, damals als Vietzer Schmelze bezeichnet.
Die gemauerte Villa mit verputzter Fassade besteht aus Erd- und Kellergeschoss. Die Dachform des Gebäudes hat eine geringe Neigung und folgt dem Grundriss eines unregelmäßigen Vielecks. Von der Frontansicht aus betrachtet steht auf der linken Seite des Hauses ein dominierender mehrstöckiger, halbkreisförmiger Turm. Die Fassade wurde sorgfältig und geschmackvoll gegliedert und bearbeitet. Das zeigen Tür- und Fensterumrahmungen, Säulen, Simse, verzierte Hausecken, die Regelmäßigkeit der Stützkonsolen des Dachsparrenwerks. Der Architekt schrieb: „Die Verzierungen an den Fenstern sind aus gebranntem Lehm und erinnern an Naturstein. Der Fries am Turm in Höhe des Haupt-Gesimses des Gesamtgebäudes ist – wie auch das prunkvolle Hauptportal – mit ornamentalen und figuralen Kompositionen in der Stucktechnik des so genannten Sgraffito verziert.
In der Villa gab es acht Räume für die Dame und den Herrn des Hauses, zwei Räume für seine Eltern, Bad, Küche, Speisekammer und Gästezimmer im Turm über dem Bad. Im Kellergeschoss gab es Räume für die Bediensteten, Waschraum, Bügelraum, Vorratsraum.
Holztäfelung und Wasserturm
Die Komposition der Villa ist bis heute verständlich. Die nur teilweise erhaltene Inneneinrichtung zeugt von einem beabsichtigten Kontrast zur schlichten und zugleich eleganten Fassade. Das Esszimmer und das Zimmer des Hausherrn hatten Decken aus Holz und Holzvertäfelung an den Wänden. Im Boudoir und Salon gab es farbige und zum Teil vergoldete Stuckverzierungen an den Decken. Odrzywolski schrieb, dass „der Eigentümer, ein Maschinenfabrikant, alle Eisen- und Tischlerarbeiten durch Handwerker seiner Fabrik ausführen ließ”.
Der Architekt beschrieb auch eine heute unbekannte Funktion des Turms. Im oberen Teil sollte es einen Wassertank geben. Das Wasser sollte mithilfe einer Dampfmaschine aus der Fabrik in den Tank gepumpt werden und den geplanten Springbrunnen versorgen. Es handelte sich also um einen Wasserturm! In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass ursprünglich eine Verbindung der Villa mit ihrer – heute sehr stark veränderten – Umgebung intendiert war. Sie stand ja zwischen Wirtschafts- und Fabrikgebäuden und nach Odrzywolskis Plänen sollte auf der Rückseite der Villa ein Landschaftspark hin zu einem kleinen, nahe gelegenen See angelegt werden.
Zum Schicksal der Villa
Das weitere Schicksal der Villa ist weitgehend unbekannt. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts gehörte es der örtlichen Selbstverwaltung, die dort zunächst eine Fürsorgeeinrichtung für Jugendliche unterbrachte, später eine Berufsschule für Ofensetzer. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Villa den Streitkräften als Rekonvaleszenz-Zentrum übertragen.
1945 übernahm die polnische Verwaltung das Zentrum zusammen mit Fabrik- und Wirtschaftsgebäuden und siedelte dort das Büro des Staatlichen Maschinenzentrums an. Heute ist die Villa in privater Hand. In einem Teil der Räume befinden sich Büros.
Im Denkmalregister
Die alte Hoffmann-Villa im heutigen Witnica ist also sowohl ein offensichtlich außergewöhnliches Werk in der Region wie im Grenzgebiet als auch ein bedeutendes Werk des ausgezeichneten polnischen Architekten. Hervorzuheben ist die bewusste Entscheidung des Investoren, sowohl beim Entwurf als auch bei der Realisierung mit dem Architekten zusammen zu arbeiten. Wahrscheinlich teilte er dessen Vorliebe für italienische Architektur. Auch das wäre ein Zeichen seiner allseitigen Bildung und eines weiten Horizonts.
Die Denkmalbehörde in Gorzów erkannte die Bedeutung der Villa an und nahm sie in das Denkmalregister auf. Aber erst, wenn man sich an den Architekten Sławomir Odrzywolski erinnert, an sein Werk, seinen Platz in der polnischen Kultur und seinen Artikel von 1882 in Krakau, versteht man die Originalität der Villa, den spezifischen Sinn seiner Architektur und seine Ausnahmestellung im deutsch-polnischen Grenzgebiet.
Błazej SKAZIŃSKI
Kunsthistoriker, Denkmalpfleger, Gorzów
Aus dem Polnischen von Ruth HENNING