Seit einigen Jahren gibt es in Gryfino den Verein Pokolenia Pokoleniom (Generationen für Generationen). Seit Jahren ist er Mitorganisator der jährlichen Adventsfeiern „Weihnachten an der Oder”, deutsch-polnische Treffen im grenznahen, direkt an der Oder gelegenen brandenburgischen Ort Mescherin. Gemeinsam werden Weihnachtslieder gesungen und Oblaten gebrochen. Treffen dieser Art gibt es im Grenzgebiet im Umkreis Stettin immer mehr.
Das Treffen in Mescherin fand am zweiten Advent in dem im nördlichsten Zipfel Brandenburgs gelegenen Ort statt – da, wo die deutsch-polnische Grenze nach dem Krieg streng geschlossen war. Wie in jedem Jahr brachen die Gäste gemeinsam Oblaten, führten Gespräche, aßen traditionelle weihnachtliche Gerichte. In diesem Jahr gab es darüber hinaus eine ehrenvolle Auszeichnung vonseiten des Landes Brandenburg. Staatssekretär Martin Gorholt, Chef der Staatskanzlei, war anwesend und überreichte dem Verein die Auszeichnung „Demografie-Beispiel des Monats”. Zum ersten Mal erhielt eine polnische Organisation diesen hoch geschätzten Preis. Ausgezeichnet werden in diesem Rahmen modellhafte Lösungen zur Stärkung örtlicher Gemeinschaften.
* * *
Wie in jedem Jahr trafen sich Deutsche und Polen in der kleinen Dorf-Feldsteinkirche, die seit dem Mittelalter auf einer Anhöhe an der Oder steht – Einwohner der Gemeinde Mescherin, Menschen aus dem nahe gelegenen Gartz und dem polnischen Gryfino auf der anderen Seite des breiten unteren Odertals sowie aus Stettin.
In der Gemeinde Mescherin machen Polinnen und Polen bereits 15 Prozent der Einwohner aus. Sie sind im Gemeinderat tätig, in der örtlichen Feuerwehr, führen kleine Firmen, Pensionen und Restaurants, in denen man in polnischer und deutscher Sprache polnische, deutsche und andere Spezialitäten bestellen kann. Die Kinder dieser Familien besuchen die hiesigen Schulen. Im Gartzer Gymnasium sind es schon so viele, dass die polnische Sprache dort als Muttersprache (auf rechtlicher Grundlage) eingeführt wurde.
Die Adventsfeier an der Oder eröffnete Kantor Daniel Debrow aus der St.-Stephan-Kirche in Gartz mit seinem Orgelspiel. Zahlreich anwesende Gäste wurden sowohl von Marta Szuster aus dem Dorf Staffelde, Mitglied des Vereins „Pokolenia Pokoleniom“ und seit 2014 Mitglied im Gemeinderat von Mescherin, als auch vom Vereinsvorsitzenden Marek Brzeziński aus Gryfino begrüßt.
Marta Szuster wurde in Stettin geboren, wohnte später in Hamburg und kehrte dann in ihre heimatlichen Gefilde zurück, nur eben auf der deutschen Seite der Oder. Im Jahr 2017 nahm sie als eine der brandenburgischen Delegierten an der Bundesversammlung teil, auf der Frank Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten gewählt wurde.
* * *
Marek Brzeziński wohnt in Gryfino und ist dort allgemein bekannt. Als Polen dem Schengener Abkommen beitrat und danach auf dem alten Weg zwischen dem seit 1945 polnischen Gryfino und dem deutschen Mescherin die Grenzbarrieren fielen, erkundete er auf dem Fahrrad die deutsche Seite der Grenze. Er folgte dabei zunächst seiner Neugier, suchte darüber hinaus aber auch nach Haus und Garten seiner Großeltern, die bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts dort hingezogen waren und bis 1945 wohnten. Als der Krieg zu Ende ging, kehrten sie nach Polen zurück und siedelten sich schließlich in Gryfino an. Obwohl ihr früheres Haus ganz in der Nähe lag, war es nun doch ungemein weit entfernt, praktisch am Ende der Welt. Die neue deutsch-polnische Grenze hatte sie erfolgreich von ihrem früheren Zuhause abgeschnitten.
Als die Grenze wieder offen war, fand Marek Brzeziński Haus und Garten. Auf einem seiner Ausflüge – auch nach Staffelde – traf er Marta Szuster, die dort mit ihrem Mann lebt. Seitdem arbeiten die beiden zusammen an der Herstellung von Kommunikation, Kontakten und Verbindungen zwischen den Grenzbewohnern.
Über die Geschichte der Familie von Marek Brzeziński drehten die Stettiner Filmemacher Michał und Paweł Kulik einen Film mit dem Titel „Der Garten auf der anderen Seite des Flusses”. Zurzeit arbeiten sie an einem Film über Marta Szuster.
In der alten Feldsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert wird Advent gefeiert. Klara Gmiter aus Gryfino, Französin aus einer Berber-Familie, die ein paar schöne Jahre in Berlin verbrachte, singt Weihnachtslieder: das französische „Petit Papa Noel”, das polnische „Wśród nocnej ciszy” („In nächtlicher Stille”) und das deutsche „Es ist ein Ros entsprungen”. Die Lichter brennen heller, als die berühmte feierliche Mozart-Sonate und dann weitere weihnachtliche Werke, gespielt von dem Flötenquintett aus der St.-Stephan-Kirche in Gartz, erklingen.
* * *
Jedes Jahr werden bei den Treffen in Mescherin Filme präsentiert, in denen deren Erfinder, Deutsche und Polen, über ihr Leben, ihre Erfahrungen während des Krieges und in der Nachkriegszeit sprechen. Dieses Mal gab es zwei Filme. Einen über Urszula Kwietniewska-Łacna aus Gryfino, in dem sie über ihre Vorfahren, ihre Nachkriegsreise nach Gryfino, über Wiederaufbau und Bewirtschaftung der Stadt spricht, und einen über Günter Höppner, der in Mescherin zur Welt kam und dort als Kind in seinem Heimatort das Kriegsende erlebte. Er erzählt im Film anschaulich von den örtlichen Weihnachtsbräuchen.
Der stimmungsvolle Abend am geschmückten Weihnachtsbaum dauerte…. Dann sangen Kinder aus dem Pflegeheim in Nowe Czarnowo Weihnachtslieder und Klara Gmiter Lieder0 von Edith Piaf und Marlene Dietrich.
Und zum Schluss sangen alle auf deutsch und polnisch „Cicha Noc – Stille Nacht”. Im Halbdunkel mischten sich deutsche und polnische Wörter und Gesten der Rührung. Vertreter aus Gryfino, Gartz und aus Potsdam, sowie alle Anwesenden brachen gemeinsam Oblaten.
Das Treffen endete mit einem kleinen Imbiss im nahe gelegenen Kulturzentrum bei Gesprächen, Kuchen und Glühwein. „Nachbarn sollten sich gut kennen / Sąsiedzi powinni znać się dobrze” – unter diesem Titel wurde eine Ausstellung eröffnet, die an verschiedene grenzüberschreitende Treffen von 2013 bis 2018 erinnert.
* * *
Eine gemeinsame Adventsfeier organisierte auch der Deutsch-Polnische Verein für Kultur und Integration e.V. (Pasewalk/Vorpommern). Das Treffen fand in der katholischen Kirche St. Otto in Pasewalk statt. Unter den Gästen befanden sich u.a. die Pasewalker Bürgermeisterin Sandra Nachtweih und der Bürgermeister der Partnerstadt Police, Władysław Diakun, der wie immer mit seinem ganzen Team gekommen war. Eine Vokalgitarren-Ensamble aus dem grenznahen Löcknitz und ein deutsch-polnischer Chor aus dem nur sieben Kilometer entfernten, aber schon zu Brandenburg gehörigen Brüssow, präsentierten deutsche und polnische Weihnachtslieder. Auch hier gab es einen weihnachtlichen Imbiss. Der Tisch war mit polnischen Speisen reich gedeckt.
* * *
Nachbarschaftliche, vorweihnachtliche Treffen gab es – oft spontan – auch in vielen anderen Ortschaften, zum Beispiel in Brüssow, wo der deutsch-polnische Chor „Horyzont„, geleitet vom Stettiner Dirigenten Paweł Kornicz, aktiv ist. Der ebenfalls in Brüssow ansässige St.-Sophien-Orgelverein hatte die Stettiner Sopranistin Sylwia Burnicka-Kalischewska, Professorin an der Universität der Künste in Stettin und Lehrerin an der Kreismusikschule Uecker-Randow auf das Anwesen von Asta und Kaspar von Oppen nach Menkin eingeladen. Sie trat mit einem vielseitigen Programm auf, in dem deutsche und polnische Weihnachtslieder dominierten und wurde von ihrem Mann, Romuald Kalischewski, am Klavier begleitet. Das war bei weitem nicht das erste deutsch-polnische Konzert bei Asta und Kaspar von Oppen. Zum Ende des Konzerts wünschte man sich gegenseitig Fröhliche Weihnachten und ein Gutes Neues Jahr.
Am Heiligenabend, 24. Dezember, hat die katolische Grenzgemeinde Löcknitz die traditionelle Christmesse in der Evangelischen Kirche Löcknitz auf Polnisch gefeiert.
Paweł MALICKI
Freier Journalist, Stettin
Aus dem Polnischen von Ruth HENNING