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Wen kann man noch ansprechen?

Data publikacji: 29 marca 2018 r. 12:17
Ostatnia aktualizacja: 28 czerwca 2018 r. 11:44
Wen kann man noch ansprechen?
Seit zwölf Jahren kooperieren die Gesamtschule Nr. 8 aus Szczecin und das Gymnasium Haßfurt (Bayern). Schüler beider Schulen besuchen sich regelmäßig in ihren Familien und Städte. Foto: Ryszard PAKIESER  

„2017 war für uns das beste Jahr seit langem”, sagt Iwona Kowalczyk, die das Stettiner Büro des Deutsch-Polnischen Jugendwerks (DPJW) in der Euroregion Pomerania leitet. Schwierig ist es nur mit Berlin.

Das DPJW gibt es seit 1991, das Jugendwerk-Büro in der Euroregion Pomerania öffnete fünf Jahre später. Mehr als hundert solcher Büros gibt es in Polen und Deutschland. In Szczecin sind zwei Mitarbeiterinnen beschäftigt, um den deutsch-polnischen Jugendaustausch in der Euroregion und der Wojewodschaft Westpommern zu fördern. In 21 Jahren wurden über das Büro mehr als 4000 schulische und außerschulische deutsch-polnische Projekte finanziert. Mehrere zehntausende Kinder und Jugendliche haben mitgemacht. Allein 2017 haben mehr als zehntausend teilgenommen, das sind 50 Prozent mehr als im Jahr zuvor. „Im letzten Jahr hatten wir mit Abstand die meisten neuen deutsch-polnischen Partnerschaften seit vielen Jahren”, sagt Kowalczyk.

Schulen und Jugendorganisationen aus Westpommern haben Partner in ganz Deutschland, die Mehrheit davon in der Grenzregion, in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Dass infolge der Schulreform in Polen die Gymnasien abgeschafft wurden, also die bisherige Schulform für die Jahrgangsstufen 6 bis 9, habe die Zusammenarbeit nicht geschwächt.

Dauerhafte Kontakte

Der Großteil an Projekten geht nicht von Schulen, sondern von Vereinen und Jugendorganisationen aus, auch wenn diese zumeist keine so festen Strukturen wie die Schulen haben. Der Schüleraustausch basiert oft auf grenznahen Partnerschaften, hauptsächlich finden ein- bis zweitägige Treffen statt, die aufgrund besonderer Regularien finanziert werden, damit dauerhafte Kontakte in der Grenzregion entstehen.

Schülerinnen und Schüler grenznaher Schulen wie in Police und Löcknitz (das Deutsch-Polnische Gymnasium) unternehmen dank Jugendwerk-Förderung bis zu 20 Mal im Jahr etwas gemeinsam: Sportwettkämpfe, Europa-Tag, Abi-Ball und vieles mehr. Inzwischen trifft man sich meistens in Police. Auch das ist symptomatisch, früher fanden nämlich die meisten Begegnungen in Deutschland statt. Jetzt haben die Polen die Initiative übernommen. Sie sind es, die die Anträge im Namen beider Partner stellen, sie übersetzen ins Deutsche und schicken die Anträge an die deutschen Jugendwerk-Büros.

Belarus im Boot

Seit einigen Jahren organisieren Träger öfter auch mehrtägige Begegnungen, zu denen Jugendliche aus einem dritten Land eingeladen werden. Im vergangenen Jahr hat das Stettiner DPJW-Büro 14 solcher Begegnungen gefördert, an denen Jugendliche aus Polen, Deutschland und der Ukraine, aus Russland und aus Belarus teilgenommen haben. Ende 2017 hatte zum Beispiel die umtriebige Jugendblaskapelle des Kulturhauses Łobez Kapellen aus Dreschvitz auf Rügen, Stralsund und dem belarussischen Stouptsy zu Gast. Am Ende des Aufenthalts gaben die Gruppen ein gemeinsames Konzert in Łobez. Demnächst fährt der Basketballklub „Seewölfe” (Wilki Morskie) Szczecin nach Belarus, der Kontakte mit Mannschaften aus der belarussischen Stadt Grodno, aus Rostock und Berlin pflegen. Für die Reise nach Deutschland erhalten die jungen Belarussen zusätzlich Geld vom DPWJ und vom deutschen Außenministerium. Dennoch sind es für die Belarussen teure Ausflüge, die viel organisatorischen Aufwand bedeuten. Trotzdem kommen sie gern nach Polen, und auch nach Deutschland.

Wer wirklich will

Gewiss ist es eine Binsenweisheit: Die Qualität der Zusammenarbeit hängt vor allem an den Personen – sie müssen es einfach wollen. Da ist Dariusz Ledzion, der Chef der erwähnten Jugendblaskapelle in Łobez. Da ist Piotr Rosenkiewicz, der Deutschlehrer aus dem südlich von Stettin zwischen Wäldern und Seen gelegenen Städtchen Barlinek. Seit Jahren arbeitet Rosenkiewicz mit der Prenzlauer „Interessengemeinschaft Frauen und Familie” und der Diesterweg-Grundschule zusammen. Jedes Jahr organisiert er fünf bis sechs Jugendbegegnungen: im Winter in den Bergen, im Sommer am Meer oder am See, thematische Workshops, grenzübergreifende Sportfeste und – auch in eigener Sache – den Nordic-Walking-Wettbewerb.

Vor Jahren hat Rosenkiewicz das Lyzeum Nr. 2 in der 60.000-Einwohner-Stadt Stargard zur internationalen Zusammenarbeit angestiftet. Die Schule fand schließlich selbst eine Partnerschule in Deutschland. Zusammen organisieren sie zum Beispiel Exkursionen in Gedenkstätten. Dieses Jahr fahren die Schüler mit litauischen Jugendlichen nach Danzig und in die KZ-Gedenkstätte Stutthof.

Fahrten zu Gedenkstätten

Auch das Stettiner Lyzeum Nr. 7 und ein Gymnasium aus dem hessischen Rotenburg an der Fulda unternehmen Fahrten zu Gedenkstätten. Die Schüler besuchen gemeinsam Danzig, die Westerplatte und das Europäische Solidarność-Zentrum. Das Stettiner Lyzeum Nr. 6 organisiert mit seinem deutschen Partner eine gemeinsame Schülerreise nach Auschwitz.

Geschichte ist zuletzt immer öfter ein Gesprächsthema unter  polnischen und deutschen Jugendliche, auch vor schwierigen Fragen schrecken sie nicht zurück. Noch bis vor Kurzem war es üblich, dass die Stettiner hauptsächlich Museen in Berlin besichtigten, jetzt aber besucht man oft neue Museen in Polen, auch in Szczecin.

Schwierige Praktika

Die Gesamtschule Nr 2 in Choszczno im Süden der Wojewodschaft Westpommern, arbeitet mit dem Oberstufenzentrum Oder-Spree im brandenburgischen Fürstenwalde zusammen. In Praktika bei deutschen Arbeitgebern lernen die polnischen Schüler Besonderheiten bei der Montage und Reparatur technischer Geräte kennen. Sie erhalten auch Schweißerzertifikate, die in der gesamten EU anerkannt sind. Die Fachschule für Wirtschaft und Hotelwesen in der Ostseestadt Kołobrzeg kooperiert bereits seit 16 Jahren mit der Oberbarnimschule Eberswalde. Beide Einrichtungen organisieren gemeinsam mit dem Eberswalder Berufsbildungsverein Berufspraktika. Zuletzt legten sie den Schwerpunkt der Zusammenarbeit auf Kulturprojekte. „Kulturprojekte sind auch sehr wichtig, sollten aber nicht die Berufspraktika ersetzen”, sagt Iwona Kowalczyk. Die Organisation der für die Jugendlichen attraktiven Praktika im anderen Land ist für die Schulen aufwendig und kostenintensiv.

Lebkuchen und Hefeteig

Das Stettiner Jugendwerk-Büro will deswegen im kommenden Jahr mehr Druck machen bei der Berufsausbildung und den Auslandspraktika. Unterstützt wird es vom Bildungskuratorium Westpommern. Offenbar muss man Berufsschulen besondere Möglichkeiten der Projektfinanzierung anbieten.

Die Krise der Berufsausbildung in Polen bereitet zwar Probleme. Dennoch gibt es polnische Schulen, die sich großartig entwickeln, zum Beispiel die wirtschaftlichen Zweige der Gesamtschule Nr. 6 in Stettin, die seit Jahrzehnten mit der Beruflichen Europa-Schule in der Grenzstadt Eggesin kooperieren. In gemeinsamen Workshops bereiten die Schüler_innen bestimmte Gerichte zu und lernen die Küche des Nachbarlandes kennen. Im letzten Jahr haben sie geübt, Lebkuchen zu backen, in diesem Jahr machen sie Hefeteig. Berufspraktika absolvieren sie unter anderem in Hotels auf Rügen.

„Das bin ich, das kann ich”

Zusammenarbeit existiert auch zwischen Einrichtungen, die mit Kindern mit Behinderungen arbeiten. Das Spezialschul- und Bildungszentrum in Chojna und die Lebensschule Uckermark in Prenzlau stießen über zehn Jahre hinweg gemeinsame Initiativen an – lange, ohne vom DPJW zu wissen. Inzwischen stellen sie auch beim Jugendwerk Anträge auf Zuschüsse.

2017 veranstalteten sie in Chojna eine Kunst-Ausstellung von Schüler_innen mit Behinderungen, Titel: „Das bin ich, das kann ich. Vielfalt ist großartig.” Die Arbeiten kamen überwiegend von Schülern aus Chojna und Prenzlau, auf ihre Einladung nahmen auch Schülerinnen und Schüler aus ähnlichen Einrichtungen in Templin, Schwedt und Szczecin teil. In diesem Jahr drehen die Chojnaer und die Prenzlauer einen Film.

Gerade jetzt

Das Plastische Lyzeum in Stettin suchte lange einen Partner. Bis einmal einige Bayern vom Münchner Jugendring zu Besuch nach Stettin kamen. Einer von ihnen war Stefan Stoll aus Oberschleißheim, Bildhauer, Kunstlehrer und Chef eines Jugendbegegnungszentrums. Stoll macht auch Bildungsprojekte mit Flüchtlingen.

„Als wir das Atelier im Plastischen Lyzeum anschauten, war er hin und weg”, erinnert sich Kowalczyk. Er sagte schließlich, solange wir keine Vereinbarung über Zusammenarbeit unterschreiben, fahre er nicht nach Hause. Die Vereinbarung wurde unterschrieben und das war wie ein Sechser im Lotto. Das Plastische Lyzeum war der ideale Partner. Die jungen Künstler_innen aus Deutschland und Polen mit ihren gemeinsamen Leidenschaften fanden schnell einen Draht zueinander. Im April kommen Jugendliche aus Oberschleißheim und aus Belarus nach Stettin, dann fahren alle gemeinsam nach Belarus in die Kunst- und Musikschule Maladsetschna. Im ersten gemeinsamen Workshop haben sie Köpfe modelliert, im nächsten Porträts gemalt, jetzt arbeiten sie mit Draht. Zusammen besuchen sie auch Kunstmuseen und -Galerien.

Das Plastische Lyzeum hat außerdem Kontakt geknüpft mit der Faber-Castell-Kunstakademie in Stein bei Nürnberg. Die Akademie gehört zu bekannten Schreib- und Buntstiftmanufaktur. Letztes Jahr waren die Stettiner in Stein, dieses Jahr kommen die Steiner Studierenden zum Gegenbesuch.

Vor Kurzem meldete sich Gerald Schädlich, ein bekannter Bilderhauer, Keramikmacher und Fotograf aus Dresden, im Jugendwerk-Büro. Er finde, dass es heute besonders wichtig sei, die deutsch-polnischen Kontakte zu stärken, beginnend bei der Jugend. Deswegen habe er beschlossen, in Polen Partner für Jugendprojekte in Ballett, Bildhauerei und Theater zu suchen. Sein Vorschlag fand gleich Widerhall beim Theater am Stettiner Kulturhaus „13 Musen”, beim Stettiner Ballettzirkel, beim Städtischen Kulturzentrum Police und beim Plastischen Lyzeum.

Früher wollten sie nicht

„Früher haben wir immer überlegt, wie wir die Schüler in Deutschland motivieren können nach Polen zu kommen, wo doch ihre Schulen schon Austausch mit den USA, Japan und Kanada betreiben. Aber letztlich entscheidet die Qualität des Projekts”, sagt Kowalczyk.

Vor zwölf Jahren war sie dabei, als die Gesamtschule Nr. 8 aus Szczecin begann, mit dem Gymnasium Haßfurt (Bayern) zu kooperieren. Haßfurt ist eine tolle vielsprachige Schule. Der Direktor sagte: „Wir haben zwar Partner in einem Dutzend Länder auf der ganzen Welt, aber an Polen ist uns gelegen.” Doch was hilft das, wenn die Jugend nicht nach Polen will? Niemand wollte. Mit Mühe fand sich ein Grüppchen in Haßfurt, scheinbar die Loser. Als sie wieder heimkehrten aus Szczecin und erzählten, wie interessant es war, ist das Eis gebrochen. Seitdem besuchen Haßfurter Schüler regelmäßig die befreundete Schule in Szczecin, und die Stettiner fahren zu ihnen. Während der Woche wohnen sie da wie dort in Gastfamilien. Die Schüler schreiben sich auf Facebook, gründen Gruppen und schreiben Blogs. Immer wenn die Bayern nach Polen kommen, wollen sie an die Ostsee und baden – egal bei welchem Wetter und zu welcher Jahreszeit. Das Gute für die Stettiner ist, dass sie dank der Gäste auch ihre eigene Stadt neu entdecken. Sie müssen sie gut erkunden, bevor sie sie den anderen zeigen.

Kapital für die Zukunft

Gut entwickeln sich auch die Kindergarten-Partnerschaften. Die Kita Nr. 2 in Stargard pflegt Austausch mit dem Kindergarten „Uckis Spatzenhaus” in Schwedt in Brandenburg zusammen, und der Kindergarten Nr. 8 in Szczecin mit der Kita „Randow Spatzen” in Löcknitz. Die Kinder aus Löcknitz und Szczecin besuchen sich mehrmals im Jahr für einen Tag. Dass die früheren Kindergärtnerinnen der Stettiner Kita inzwischen in Löcknitz als Erzieher und Zweitsprachlehrer arbeiten, macht die Sache einfacher.

In der Grenzregion entfaltet sich ein Bewusstsein dafür, dass das Lernen in zwei Sprachen ein Wert für sich, ein kultureller Gewinn ist, Kapital für die Zukunft bedeutet. Die Kindergartenkinder aus Stettin haben viel Deutschunterricht. Bei den Treffen mit den Löcknitzer Kindern wird immer in beiden Sprachen gesprochen. Die Kita Nr. 67 in Szczecin arbeitet schon seit zwölf Jahren mit der Rot-Kreuz-Kita in Prenzlau zusammen. Jetzt planen die beiden Häuser gemeinsamen Musikunterricht in der Stettiner Philharmonie, eine Idee der Deutschen. Die Kinder fahren nach jedem Treffen mit Geschenken, Bildern und neuen Eindrücken nach Hause.

100 Kilometer hinter der Grenze

Eine von neun Gewinnern des Deutsch-Polnischen Jugendpreises ist die Gesamtschule der kleinen Gemeinde Radowo Małe, etwa 100 Kilometer hinter der Grenze. Den Preis erhielt sie für das gemeinsam mit Jugendlichen aus Oberschleißheim umgesetzte Projekt „Tisch der Weisheiten”. Ausgezeichnet wurde auch der Verein „Teatr Brama” aus Goleniów, der mit der Deutschen Kriegsgräberfürsorge zusammenarbeitet. Die Schule in Radowo Małe macht seit Jahren Projekte, nicht nur mit dem DPJW. Als die Schüler im vorigen Jahr Besuch von Journalisten des deutschen Fernsehens bekamen, wurde ihnen klar, dass sie den „Tisch der Weisheiten”, der so interessant und kompliziert war, überhaupt nicht gefilmt hatten.

Was ist mit Berlin?

Für Schulen aus Szczecin und der Region sind Hamburg und Lübeck attraktiv. Partnerschaften mit dortigen Schulen haben zum Beispiel Koszalin, Kamień Pomorski und Szczecin.

Und Berlin? Regelmäßige Kontakte bestehen zwischen dem Stettiner Lyzeum Nr. 2 und ihrer Berliner Partnerschule. Seit Kurzem hat auch das Kulturhaus „13 Musen” mit seinem Kinderzirkus-Programm einen Draht nach Berlin.

Dennoch, Berlin spielt nicht eine solch große Rolle wie es könnte. Was tun, damit das anders wird? „Ich weiß es nicht”, sagt Iwona Kowalczyk. „Wir sind auf den Börsen in Berlin präsent, wir verteilen unsere Flyer. Wen kann man noch ansprechen?”

Bogdan TWARDOCHLEB

Aus dem Polnischen von Nancy WALDMANN

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